Stephanie zu Guttenberg über Bildung: USA spielen Champions League, wir nur Kreisliga

"Das deutsche Bildungssystem steht nicht gut da, das hat nicht nur die Corona-Pandemie gezeigt. Stephanie zu Guttenberg erklärt, wie die USA Deutschland meilenweit voraus ist – und warum wir endlich wieder den Anspruch haben müssen, Bildungsweltmeister zu sein.
Zehn Jahre habe ich das US-Amerikanische Schul- und Bildungssystem nahezu täglich von innen erlebt. Meine beiden Töchter sind dort zur Schule gegangen. Sowohl auf öffentliche und auch private Einrichtungen. Auch in Deutschland bin ich seit Jahren in öffentlichen und privaten Schulen unterwegs, spreche regelmäßig mit Schülern, Lehrkräften, Eltern und Politikern. Wenn ich von ihnen gefragt werde, was hierzulande schief läuft, komme ich immer wieder zum selben Schluss: Deutschland hinkt den USA (und anderen Ländern) in Sachen Bildung, Digitalisierung und Transformation nicht nur hinterher, wir haben mittlerweile komplett den internationalen Anschluss verloren. Unser Bildungssystem – man muss es so klar sagen – spielt sich heute auf Kreisliga-Niveau ab, Champions League wird anderswo gespielt. Wie konnten wir das nur zulassen?

Beim ersten Blick in US-Klassenzimmer einer öffentlichen Middle-School (5-8.Klasse) mit angeschlossener High-School (9-12.Klasse) fällt sofort auf, dass dort kein Schüler ohne Laptop sitzt (Smartphones sehen Sie im Klassenraum so gut wie nie). Neben den Laptops liegen oft Notizblöcke, Schulbücher und Stifte. Es ist also nicht so, dass der komplette Unterricht nur per Computer stattfindet. Aber eben auch nicht ohne. Das ist wohl der gravierendste Unterschied zwischen den USA und Deutschland: 98 Prozent der Schulen in den USA haben Zugang zu Internet, in Deutschland sind es knapp 40 Prozent.

Bildung in den USA: Anatomie zu Anfassen, Sport mit Apps 
Würden Sie einen der US-Schüler fragen, wie sein oder ihr Tag aussieht, würde er die schulinterne Plattform aufrufen und ihnen auf dem Bildschirm die genaue Einteilung des Schultages zeigen und auf eingehende Emails von Lehrern zu Hausaufgaben, Fächern und Recherche-Material verweisen. Jeder Schüler hat eine eigene Email-Adresse, die von der Schule ausgegeben wird. Alle sind im Schulnetzwerk eingeloggt. Die Laptops werden Anfang des Jahres mit der aktuellen Schulsoftware bespielt. Und das vom schuleigenen IT-Department. Dass es dieses Department gibt, ist wichtig, denn Lehrer sollen Lehrer sein und keine IT-Spezialisten. Ich als Elternteil habe einen eigenen Zugang zu dieser Schul-Plattform meines Kindes und kann Noten, Hausaufgaben, Events und Kontakte einsehen. Der Schulkalender meiner Kinder ist mit meinem eigenen synchronisiert.

Es geht noch weiter. Zweiter Blick ins Klassenzimmer: Ab Klasse 5 werden unter zur Hilfenahme digitaler Medien Powerpoint-Präsentationen gehalten. Schriftliche Hausaufgaben werden oft auf Google-Docs erstellt und sofort auf die Plattform geladen. Dies geschieht auch, damit die Lehrer einsehen können, wie lange und wer genau an dem Dokument gearbeitet hat. In der 6. Klasse drucken vollkommen faszinierte US-Schüler per 3D-Drucker im Biologie-Unterricht ein menschliches Herz aus. Anatomie zum Anfassen. Im Sport-Unterricht werden Schüler per App mit ihrem Bio-Rhythmus, ihren Ausdauerwerten oder ihrem Bewegungsablauf konfrontiert. All dies dient dazu, dass Schüler in jungen Jahren Problemlösungsfähigkeiten entwickeln, die sie mit Kreativität und Spaß kombinieren.

Was fällt weiter auf? Überall steht der Lehrer im Mittelpunkt. Er leitet den Unterricht, motiviert die Schüler, spornt sie an. Digitale Hilfsmittel sind selbstverständlich Teil des Unterrichts, weil sie ihn spannender, vielseitiger, kreativer und einfacher gestalten. Das Erlernen und der richtige Umgang mit digitalen Medien gehört zum kleinen 1x1. Denn ohne das richtige Know-how – das ist in den USA als Leitidee bereits im Bildungssystem verankert – werden Kinder und Jugendliche nicht wettbewerbsfähig für den globalen Markt sein.

Der Overheadprojektor als Symbol des Rückstandes 
Zurück ins Land der Dichter und Denker, Deutschland. Das Land ohne natürliche Ressourcen, aber mit viel Potenzial zwischen den beiden Ohren. »Made in Germany« zählt immer noch. Deutsche Ingenieurskunst ist weltweit immer noch ein Siegel für Qualität. Auf vieles lässt sich mit Recht stolz sein in unserer Heimat. Aber wie lange wird das noch so sein?

Wer heute ein deutsches Klassenzimmer betritt, spürt immer noch den Geist Humboldts. Leider sehen viele Klassenzimmer aber auch immer noch so aus wie aus einer vergangenen Zeit. Im Vergleich zu den USA werde ich gefühlt um mindestens 100 Jahre in die Vergangenheit katapultiert. Nicht wegen der Kinder und Jugendlichen. Die sind so wissbegierig und neugierig wie überall. Nein, es sind andere Signale: Kreidetafeln, überdimensionierte Zirkel, Lineale und Geodreiecke an der Wand. Und was mich stets völlig umhaut: sogar der Overhead-Projektor ist immer noch da! Mehr noch: Dieses Teil ist eins der wenigen technischen Geräte, die in deutschen Klassenzimmern mit Strom funktionieren! Jetzt mal im Ernst: Ist der Overheadprojektor unsere Antwort auf das 21. Jahrhundert? ...

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