Wie ich doch noch zum digitalen Lehrer wurde
"Digital unterrichten? Das ist nichts für ihn, dachte unser Autor. Inzwischen klappt es erstaunlich gut. Auch wegen eines Kollegen, der sich für Technik begeistert.
Mansur Seddiqzai arbeitet als Lehrer an einem Gymnasium im Ruhrgebiet. Er berichtet auf ZEIT ONLINE immer wieder über seine Erfahrungen an der Schule. Hier erzählt er, wie er als Risikopatient Unterricht von zu Hause aus macht.
Lehrerinnen und Lehrer bekommen alle Laptops und die Schulen Systemadministratoren, so heißt es von Bund und Ländern. Gut dass diese Entscheidung gefallen ist. Trotzdem bin ich unendlich froh, dass wir an unserer Schule nicht noch monatelang darauf warten müssen. Bei uns funktionieren WLAN und Tablets. Selbstverständlich ist das allerdings nicht.
Als ich im Mai über meine Probleme mit dem Distanzunterricht schrieb, hatte der Unterricht nach den Schulschließungen gerade wieder begonnen. Die Lage war unübersichtlich. Lehrer und Schüler rotierten wöchentlich, einige Kurse fanden online statt, von einer best practice waren wir meilenweit entfernt. Während einige Lehrerinnen und Lehrer innovative Lösungen fanden, scheiterten andere an der mangelhaften Digitalisierung der Schulen und der schlechten Ausstattung der Schüler. Besonders dort – also auch bei uns – wo Schülerinnen und Schüler in materiell benachteiligten Familien leben, fiel es uns Lehrern schwer, digital verlässlich mit ihnen in Verbindung zu bleiben.
Seitdem sind mehrere Monate vergangen, das neue Schuljahr hat begonnen. Vom Unterricht aus der Ferne und von uns Lehrern waren viele Eltern enttäuscht. Verständlicherweise befürchteten viele, dass das neue Schuljahr ähnlich chaotisch verlaufen würde. Wenn ich mich heute mit Kolleginnen und Kollegen von anderen Schulen unterhalte, hat sich bei vielen auch noch wenig geändert. An manchen Schulen ist nicht einmal der Vertretungsplan online einsehbar. Bei uns können ihn sowohl Lehrerinnen und Lehrer als auch die Schülerinnen und Schüler unkompliziert in einer App aufrufen.
Aber auch wir hatten zu Beginn der Corona-Pandemie zu kämpfen und ich habe ehrlich gesagt nicht daran geglaubt, dass der Unterricht nach den Ferien per Videokonferenz abgehalten werden kann – ohne dass Lehrerinnen und Lehrer gegen den Datenschutz verstoßen.
Aber es funktioniert alles erstaunlich gut. Als Risikopatient ist es mir möglich, von zu Hause aus zu unterrichten, dank vom Land organisiertem Tablet und abgesegnetem, vorinstalliertem Videokonferenztool. So kann ich meine Schülerinnen und Schüler nach dem normalen Stundenplan unterrichten. Sogar wenn sie im Unterricht Maske tragen, verstehe ich sie sehr gut. In allen meinen Kursen und Klassen habe ich eine Schülerin oder einen Schüler zum Tablet-Betreuer auserwählt. Er oder sie bekommt von der Schule ein Tablet gestellt und darf es mit nach Hause nehmen. Im Gegenzug ist die Person dann verantwortlich dafür, das Tablet vor jeder Sitzung an den Beamer anzuschließen und mich per Videokonferenztool dazuzuschalten.
Am Anfang waren meine Schüler noch recht laut, was ich allerdings gar nicht mitbekam. Ich klopfte mir noch selbst auf die Schulter, weil ich die Klasse aus der Ferne so streng disziplinieren konnte, da fragten mich schon einige Jugendliche per Mail, ob ich nicht besser einschreiten könnte. Man hätte mich trotz Lautsprecher kaum verstanden.
Eine Tablet-Beauftragte, zwei Ruhebeauftragte
Die Ruhe bei mir zu Hause lag leider nur an der sogenannten Noise-cancelling-Funktion des Tablets. Also habe ich mittlerweile unter den Schülerinnen und Schülern nicht nur eine Tablet-Beauftragte, sondern auch zwei Ruhebeauftragte. Es klappt erstaunlich gut. Viele Jugendliche lassen sich nicht wie früher einfach bespaßen, sie fühlen sich verantwortlich dafür, ob der Unterricht zustande kommt und dass sie etwas dabei lernen. (Vielleicht sind manche auch deshalb so diszipliniert, weil mein Gesicht auf der Leinwand in Übergröße über ihnen schwebt.)
Selbst in den jüngeren Klassen funktioniert es mit der Disziplin recht gut, allerdings muss dort eine weitere Lehrkraft vor Ort sein, damit die Aufsichtspflicht erfüllt ist..."
Zum Erfahrungsbericht von Mansur Seddiqzai auf ZEIT ONLINE.de.