"Was ist so schlimm daran, dass Ihr Kind YouTuber werden will?"
"Wie navigieren Schülerinnen und Schüler zwischen Social Media, Handyverboten und dem Traumjob YouTuber? Der Unternehmer, Trendforscher und EU-Jugendbotschafter Ali Mahlodji erklärt im Interview mit Clemens Stachel, warum Schülerinnen und Schüler medienkompetenter sind, als wir glauben, was bei der Fake-News-Aufklärung im Unterricht falschläuft und woran es Kindern heute am meisten mangelt.
Herr Mahlodji, Sie sind erfolgreicher Unternehmer und Gründer der Berufsorientierungsplattform whatchado. Seit einigen Jahren halten Sie stark nachgefragte Vorträge an Schulen, arbeiten in Workshops mit Schülerinnen und Schülern, aber auch mit Lehrkräften und Eltern. Nachdem Sie Tausende Schülerinnen und Schüler in ganz Österreich kennengelernt haben – wie steht es um ihre Medienkompetenz?
Es tut mir leid, dass ich das Gespräch mit einer Gegenfrage beginnen muss: Wie steht es denn um die Medienkompetenz der Erwachsenen? Es gibt erschreckende Studien darüber, wie viele Menschen Fake News nicht von echten News unterscheiden können. Und auch die echten Nachrichten können viele nicht richtig einordnen. Anders gesagt: Es sind nicht die Kinder, die zu Tausenden auf die Straße gehen, um gegen die Corona-Maßnahmen zu »demonstrieren«, und den schlimmsten Verschwörungstheorien anhängen. Es sind Erwachsene.
Muss man sich dann um die heranwachsende Generation nicht umso mehr Sorgen machen?
Ja und nein. Es gibt hier zwei Aspekte, die mir aus Sicht der Erwachsenen wichtig erscheinen. Erstens, wie wir Eltern wissen, sind Kinder Kopiermaschinen. Sie tun, was man ihnen vormacht und vorlebt. Und wenn es in unserer Gesellschaft für Erwachsene normal ist, in der U-Bahn-Station nach den Gratiszeitungen mit den Mega-Schlagzeilen zu greifen, dann tun die Kinder und Jugendlichen das auch. Wie sollen Kinder Kompetenz im Umgang mit Medien erlernen, wenn das die Normalität ist, die sie von den Erwachsenen in ihrem Umfeld vorgelebt bekommen? Und der zweite Aspekt, der damit zusammenhängt: Wir unterschätzen die Selbständigkeit der Kinder. Wir trauen ihnen zu wenig zu. Das gilt dann vor allem in dem sozialen Umfeld der »Helikoptereltern«, wo die Kinder den ganzen Tag umsorgt werden. Dieses Nicht-Zutrauen hemmt die Kinder stark in der Entwicklung eigener Kompetenzen.
Sie meinen, wir haben es mit einer Selffulfilling Prophecy zu tun: Wir trauen den Kindern nicht zu, dass sie die komplexe Medienwelt begreifen können, was dazu führt, dass wir sie erst recht damit allein lassen?
Ich treffe an Schulen so viele Eltern, die mir vorjammern: Hilfe, mein Kind will YouTuber werden! Das scheint zurzeit eine der größten Sorgen von Eltern in Österreich zu sein. Dann erwarten sie, dass ich ihnen Tipps gebe, wie sie ihrem Kind diesen dummen Berufswunsch wieder austreiben können. Aber ich sage ihnen dann: Was ist denn so schlimm daran, dass Ihr Kind YouTuber werden möchte? Erstens, vielleicht schafft er oder sie es ja! Zweitens, das ist ein respektabler Medienberuf wie jeder andere auch. Und drittens, was würde denn schlimmstenfalls passieren, wenn Ihr Kind es nicht schafft oder auf halbem Weg die Lust verliert? Dann hätte es Erfahrung, Wissen und Kompetenzen gesammelt, die ihm auf seinem weiteren Lebensweg von Nutzen sein können.
Diese Eltern wünschen sich wohl, dass das Kind einen »richtigen« Job anstrebt – einen, der es absichert.
Genau da liegt das Missverständnis. Viele Eltern denken so: Mein Kind sollte alles genauso machen, wie ich es vor 30 Jahren gemacht habe, nur um eine Stufe erfolgreicher. Denn es soll es einmal »besser haben als ich«. Ein Aufstiegsglaube, der für die Nachkriegsgenerationen sinnvoll war, aber heute völlig verfehlt ist. Wie wir glauben, dass die Welt funktioniert, hat immer weniger damit zu tun, wie die Welt wirklich funktioniert – und erst die Welt in zehn Jahren! Stellen Sie sich vor, vor zehn Jahren hätte eine Jugendliche zu ihren Eltern gesagt: »Ich möchte einmal selbständige Social-Media-Managerin werden, da kann ich mein Wissen, wie man auf Facebook kommuniziert, einsetzen und obendrein viel Geld verdienen.« Was hätten die Eltern geantwortet? Ich vermute, so etwas wie: »Was redest du für Schwachsinn?« Heute suchen die größten internationalen Unternehmen händeringend nach guten Social-Media-Beraterinnen und -Beratern. Und wer kriegt diese Jobs? Jene jungen Leute, die in ihrer Jugend ihre Talente mit den digitalen Technologien verknüpft haben – aber nicht etwa in der Schule, sondern in ihrer Freizeit!
Was ich damit sagen will: 65 Prozent der Berufe, die wir in zehn Jahren haben werden, gibt es noch nicht. Wenn also ein Kind heute sagt,»Ich will YouTuber werden«, und daraufhin von Eltern und Lehrkräften nicht Ablehnung, sondern Unterstützung erfährt, dann ist die Chance groß, dass dieses Kind in 15 Jahren kein YouTuber ist, aber dafür seinen Traumjob landet – von dem wir heute noch nicht einmal den Namen kennen.
Bleiben wir bei YouTube und den digitalen Medien. Das Smartphone ist im Klassenzimmer nicht gern gesehen, es raubt Schülerinnen und Schülern die Konzentration. Gleichzeitig spielt sich aber auf diesen Geräten fast der gesamte Medienkonsum der Kinder und Jugendlichen ab. Wie könnte also ein Unterricht über die Smartphone-Medien aussehen?
Wichtig wäre zunächst, dass die Lehrerinnen und Lehrer nicht den Fehler machen, das Internet als die große Gefahr darzustellen, vor der die Kinder »geschützt« werden müssen. Zurzeit ist an Schulen beispielsweise die Aufklärung über Fake News weit verbreitet. Das ist sicher gut gemeint, aber ich beobachte es kritisch. Es etabliert eine schiefe Ebene, wo Erwachsene Kindern erklären, was »richtig« und was «falsch« ist. Die Botschaft wird dann oft verkürzt: Man könne nur mehr den großen, staatlichen Medien vertrauen, alle anderen seien potenziell gefährlich oder »fake«. Ich habe den Eindruck, dass die Schülerinnen und Schüler sofort merken, dass das so nicht stimmt. Es hat auch nichts mit ihrer Lebensrealität zu tun, weil sie wissen: Auch auf YouTube oder Instagram kann man sich seriöse, professionell aufbereitete Information holen. Außerdem ist es nicht ratsam, Menschen vorzuwerfen, sie konsumierten Fake News, ohne sich mit den Gründen dafür zu beschäftigen. Das führt erst recht zu einer Abwehrreaktion und zu einem Gefühl der Abwertung, niemals zur großen Erkenntnis.
Wie also sollen Lehrkräfte den Umgang mit digitalen Medien im Unterricht thematisieren? ..."
Ali Mahlodji, der selbst die Schule abgebrochen und die Matura nachgeholt hat, gilt als Wiener Prototyp des digitalen Entrepreneurs. 2012 gründete er whatchado, eine Berufsorientierungsplattform für junge Menschen. Er hält Vorträge und veranstaltet Workshops an Schulen, ist EU-Jugendbotschafter, Autor des »Work Report 2019« des Zukunftsinstituts und berät staatliche und private Bildungsinitiativen.