Videokonferenzen mit Drittklässlern – ein Abenteuer. Wie eine Lehrerin sich gemeinsam mit ihrer Klasse digitalen Unterricht erschloss

"Wie läuft es mit dem Fernunterricht? Nachdem der Bericht des Stuttgarter Realschullehrers Alessandro Totaro vor einigen Wochen auf News4teachers viel Interesse geweckt hat, wollten wir wissen: Lassen sich die positiven Erfahrungen auch auf die Grundschule übertragen? Grundschülerinnen und Grundschülern fehlen womöglich die Grundlagen, um mit digitalen Formaten lernen zu können. Stimmt auch – sagt die Grundschullehrerin Christiane Stricker aus dem hessischen Bad Vilbel. Sie selbst hatte bis dato wenig Erfahrung mit digitalen Lehrmitteln, ließ sich notgedrungen dann aber auf das Abenteuer Videokonferenzen mit den Schülern ihrer dritten Klasse ein. Und: Sie selbst hat viel dabei gelernt. 

News4teachers: Wie waren Ihre Vorerfahrungen mit digitalem Unterricht? Wie war bei Ihnen die Situation vor den Schulschließungen?

Christiane Stricker: Vor der Corona Schulschließungen fand bei mir ehrlicherweise digitaler Unterricht nicht statt. Mir war lediglich die Nutzung von PCs, Beamer, Mobiltelefon und Laptop vertraut. Meine Klasse hatte bis auf eine Einheit zum Internet ABC keinen regelmäßigen Umgang mit PCs und erst recht keinerlei Erfahrungen mit Distance Learning.

In unserer Schule ist jeder Klassenraum mit zwei PCs ausgestattet, welche auch Internetzugang haben. Weiterhin gibt es einen Computerraum, welcher mit 18 Desktop PCs ausgestattet ist. Diese Geräte wurden von den SchülerInnen vor der Corona Schulschließungen für unterschiedliche Lernprogramme verwendet. Sie dienten daher eher als Tool und nicht als digitales Medium. Manchmal wurden PCs auch für Internetrecherche verwendet. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Medienbildung als unzureichend zu beschreiben war. 

News4teachers: Wie sind Sie darauf gekommen, mehr Kommunikation zu ermöglichen, als nur Aufgaben zu verschicken?

Christiane Stricker: Zur Beantwortung möchte ich kurz auf meinen regulären Unterricht eingehen, da ich denke, dass dieser erst das digitale Klassenzimmer ermöglicht hat. Mein Präsenzunterricht ist geprägt von offenen Aufgaben, welche individuelles Arbeiten mit unterschiedlichen Lernständen ermöglicht. Auch unterrichte ich mit Hilfe von Wochenplänen, daher sind die Kinder selbstständiges Arbeiten gewöhnt. Jedoch heißt selbstständig für mich nicht allein lassen. Ich verstehe mich als Lernbegleiter meiner SchülerInnen. Sie lernen ihre Aufgaben zu bearbeiten und wenn sie Hilfe brauchen, dann haben wir ein Helfersystem etabliert. Das Helfersystem besteht aus MitschülerInnen und mir.

Jedoch war es den Kindern durch die Schulschließungen nicht mehr möglich, auf ihre bekanntes Unterstützungssystem zurückzugreifen. Ich entschied mich zunächst, meine Homepage zur Lernplattform für Kinder zu entwickeln, welche ich für ein Flipped Classroom Modell verwenden wollte. Diese Homepage alleine erschien mir jedoch nicht ausreichend, da sie keine echte Kommunikation ermöglichte, lediglich ein Chat habe ich auf dieser anbieten können. Der Elternbeiratsvorsitzende meiner Schule brachte mich darauf, eine Videokonferenz mit meinen SchülerInnen auszuprobieren. Er unterstütze mich dabei ein datenschutzkonformes Tool zu finden und zu testen und so war die Idee des digitalen Klassenzimmers geboren. Bereits nach zwei Wochen der Schulschließungen stand mein Konzept zum digitalen Klassenzimmer. Ich lud, auf freiwilliger Basis, alle SchülerInnen meiner Klasse ein. Innerhalb von nur einem Tag hatte ich 13 Kinder von 15 dabei. Mein Angebot wurde unglaublich dankbar angenommen. Dies ermutigte mich, meinen Selbstlernprozess zu fördern. Ich eignete mir täglich mehr Wissen an und lernte mit meinen SchülerInnen gemeinsam. Was zunächst als Austauschmedium gedacht, entwickelte sich innerhalb einer Woche zu täglichem Unterricht, welcher aus dem Alltag meiner Klasse nicht mehr wegzudenken war.

News4teachers: Wie sahen die ersten Schritte aus? Gab es Schwierigkeiten, vielleicht auch lustige Pannen?

»Bauserfenster, hä?« Viele Begriffe waren den Schülern nicht geläufig.

Christiane Stricker: Der erste Schritt zum digitalen Klassenzimmer war, wie bereits beschrieben, die Entwicklung meiner eigenen Homepage als Lernplattform. Da mir jedoch das Wichtigste von Schule fehlte, der Lehrer-Schüler Austausch und die Lehrer-Schüler-Beziehung, entstand die Idee des täglichen Videochats, unserem digitalen Klassenzimmer. Mit Hilfe der Unterstützung des Schulelternbeiratsvorsitzenden teste ich ein Videochattool, welches als datenschutzkonform galt (jitsi-meet). Dieses Tool diente von nun an als digitales Klassenzimmer. Selbstverständlich gab es eine Reihe von Pannen. Ohne die Unterstützung einiger Eltern wäre es sicherlich nicht umzusetzen gewesen. Hürden waren vor allem die neuen Begriffe, die den Kindern nicht geläufig waren. Ein paar Beispiele möchte ich nennen: »Welchen Knopf muss ich drücken?«, »Wo ist das was, das Bauserfenster (Browserfenster)?«, »Bei mir geht das nicht… Ich höre nichts.«, »Ich kann nichts sehen…«, »Was ist ein Blog?«.

Ehrlicherweise, vielleicht aber auch weil ich noch keine Erfahrung mit dieser Form des Unterrichts hatte, empfand ich es als sehr anstrengend. Aus diesem Grund kann ich Lehrkräfte verstehen, die sich der Thematik eher zögerlich nähern oder sogar eine ablehnende Haltung zeigen. Inzwischen weiß ich, dass es einfacher wird, wenn man Routine bekommt und auf Erfahrungen von Lehrkräften zurückgreifen kann, die sich bereits auskennen und als Multiplikatoren eingesetzt werden. Ich habe eine Kollegin eingewiesen, die sich durch meine Erfahrungen und Unterstützung sehr schnell einfinden konnte, obwohl sie auch keinerlei Vorerfahrungen mit dieser Lernform hatte..."

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