Digitale Bildung: Schere geht auseinander – ein Drittel der Schulen marschiert voran, ein Drittel wird abgehängt

An den Schulen in Deutschland gibt es einer Studie zufolge große Unterschiede bei der Digitalisierung. Die Bildungsgewerkschaft GEW spricht sogar von einer »digitalen Spaltung« und fordert Investitionen in Zeit für die Weiterbildung von Lehrkräften sowie Schuladministratoren, die sich um die Technik kümmern, damit Lehrerinnen und Lehrer damit nicht zusätzlich belastet werden. »Wir dürfen die Digitalisierung an der Schule nicht auf Ausstattungsfragen reduzieren. Drei Balken im Wlan-Symbol bedeuten nicht automatisch gute Bildung«, sagt GEW-Vorstandsmitglied Ralf Becker. 

Für die repräsentative Studie hatte die Kooperationsstelle Hochschule und Gewerkschaften der Universität Göttingen Anfang des Jahres 2.750 Lehrkräfte in Deutschland befragt, unter anderem dazu, ob es an ihrer Schule eine Digitalstrategie gibt, ob dort neue digitale Unterrichtsformen erprobt werden, ob es digitale Geräte für den Unterricht gibt oder ob Räume so eingerichtet sind, dass digitales Lehren und Lernen unterstützt wird.

»Die Unterschiede zwischen digitalen Vorreiter- und Nachzügler-Schulen beim Lehren und Lernen mit digitalen Medien und Tools sowie der digitalen Infrastruktur sind gewaltig«, sagte Studienleiter Frank Mußmann. Rund jede dritte Schule wird in der Studie zu den »Nachzüglern« gezählt. 38 Prozent werden als »Vorreiter« oder »digital orientiert« eingestuft und 29 Prozent als »digitaler Durchschnitt«.

Mußmann verwies darauf, dass Schüler an »Vorreiter-Schulen« deutlich intensiver lernten, digitale Inhalte zu erstellen und Informationen im Netz zu prüfen. Er sprach von großen Auswirkungen auf das demokratische Gemeinwesen, wenn digitale Bildung in der Schule nicht darauf abziele, dass Schüler Digitalkompetenzen entwickelten. »Alle Schulakteure sollten alles daran setzen, die digitale Spaltung abzubauen.« 

»Die Ad-hoc Digitalisierung hat die angespannte Arbeitssituation an Schulen noch einmal verschärft« 
Allerdings betonte der Wissenschaftler: Die Digitalisierung erfordere zeitliche Kapazitäten und personelle Ressourcen der Schulen. Genau hier gebe es jedoch ein Problem: »Die Lehrkräfte arbeiten am Limit. Ihre Belastung war auch während der Ad-hoc Digitalisierung in der Pandemie sehr hoch und hat die ohnehin angespannte Arbeitssituation an Schulen sowie die Entgrenzungserfahrungen der Lehrkräfte noch einmal verschärft«, hob der Studienleiter hervor. »Ausgelöst durch Coronakrise und Digitalisierungsschub ist die wöchentliche Arbeitszeit der Lehrkräfte um rund 30 bis 60 Minuten gestiegen. Dabei überschritt die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit der Lehrkräfte schon vor der Pandemie die Normarbeitszeit deutlich. Von einem Viertel sehr stark belasteter Lehrkräfte wird sogar die gesetzliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden in der Woche überschritten. Das ist eine sehr hohe Arbeitsbelastung und gefährdet die Gesundheit.« 

Lehrkräfte und Schulen hätten während der Coronakrise vielfach in Eigeninitiative pragmatische Lösungen gefunden, um digitale Medien und Techniken einzusetzen sowie digitale Lehr- und Lernkonzepte zu entwickeln und mit diesen zu arbeiten, hob Mußmann hervor. Seit der Pandemie würden digitale Medien häufiger genutzt als in der Vor-Corona-Zeit, Lehrkräfte hätten ihre digitalen Kompetenzen an gestiegene Anforderungen angepasst. Der Studienleiter bemängelte aber die meist unzureichende institutionelle Unterstützung. »Eine fehlende systematische Schulentwicklung gefährdet die Zukunft der Digitalisierung«, sagte er.

»Die Schulen brauchen dringend mehr Ressourcen, um gute Konzepte für eine digitale Lehr- und Lernstrategie zu entwickeln« 
Die GEW mahnt deshalb eine Strategie- und Qualitätsoffensive für Medienkompetenz an den Schulen an. »Nach dem Digitalisierungsschub durch die Coronakrise brauchen die Schulen dringend mehr zeitliche und personelle Ressourcen, um gute Rahmenkonzepte für eine digitale Lehr- und Lernstrategie zu entwickeln und diese auch umzusetzen«, sagte Anja Bensinger-Stolze, GEW-Vorstandsmitglied Schule, mit Blick auf die Ergebnisse der wissenschaftlichen Studie »Digitalisierung im Schulsystem 2021«, die am Mittwoch in Berlin im Rahmen einer Pressekonferenz vorgestellt wurde. Sonst drohe die Weiterentwicklung der Medienkompetenz der Lehrkräfte sowie der Schülerinnen und Schüler »im Technikstress unterzugehen«.

Ralf Becker, GEW-Vorstandsmitglied Berufliche Bildung und Weiterbildung, machte deutlich, dass digitale Ausstattung und Infrastruktur wichtig seien, weil sie die Grundlage bilden, damit alle Schulen digitale Tools und Technik gleichberechtigt nutzen können.»Digitalisierung an Schulen ist aber eben auch eine Qualitäts- und Zeitfrage. Der pädagogisch-sinnvolle Einsatz digitaler Technik und Formate im Unterricht erfordert Zeit sowie Ressourcen für Fort- und Weiterbildung ebenso wie für die Anpassung analoger an digitale Formate, wenn dies möglich ist. Lehrkräfte dürfen nicht mit zusätzlichen IT-Aufgaben belastet werden, sondern sollen sich in ihrer Arbeitszeit auf den Lehrberuf konzentrieren können«, sagte Becker. Die Digitalpaktmittel für IT-Administratorinnen und -Administratoren müssten endlich an den Schulen ankommen. 

Hier lässt sich die vollständige Studie herunterladen. 

Quelle: News4teachers/ mit Material der dpa