Lehrpläne abspecken, nicht alle Kinder gleich behandeln
"Warum Schulen nach den Ferien möglichst offen bleiben, aber auf keinen Fall zum Status quo zurückkehren sollten: sechs Vorschläge, was sich aus der Pandemie lernen lässt.
Die Ferien sind langsam vorbei, nach und nach beginnt die Schule wieder. Das Zauberwort dieser späten Phase der Pandemie heißt Präsenzunterricht. Kultusminister und -ministerinnen versprechen, einen erneuten Rückfall ins Homeschooling unbedingt verhindern zu wollen, auch bei hohen Inzidenzen und mit ungeimpften Kindern. Zu Recht. Viele Eltern geraten in Angst oder Wut bei der Vorstellung, dass es so weitergehen könnte wie im Schuljahr zuvor – die Kinder zu Hause, sie als zeternde Ersatzlehrerinnen daneben.
Vielen Kindern und Jugendlichen wiederum ging es schlecht, weil sie ihre Freunde kaum sahen, ohne die Schule keinen Halt mehr hatten. Manche standen morgens nicht mehr auf, verschwanden bei Netflix anstatt in Videokonferenzen. Andere traf es noch härter, sie vereinsamten, wurden magersüchtig, depressiv oder aggressiv.
Trotzdem: Alles zurückzudrehen auf Februar 2020 wäre ein Riesenfehler. Das, was während der Schulschließungen schief gelaufen ist, hat die Aufmerksamkeit auf teils uralte Probleme des deutschen Bildungssystems gelenkt, die nun endlich angegangen werden müssen. Jene Notlösungen dagegen, die in der Pandemie gut funktionierten, sollten beibehalten und ausgebaut werden.
Wechselunterricht ohne Homeschooling
Nehmen wir zum Beispiel den Wechselunterricht, vor dem sich so viele Eltern gruseln. Viele Lehrkräfte und Schülerinnen fanden ihn toll. Da hätten schüchterne Schüler plötzlich gesprochen, deren Stimme sie noch nie gehört hatten, berichten Lehrerinnen. Schülerinnen erzählen, sie seien ruhiger, konzentrierter gewesen als im Gewusel der gesamten Klasse – und hätten entsprechend mehr gelernt.
In den Phasen zu Hause mussten sie wiederum üben, sich selbst etwas zu erarbeiten, ihren eigenen Rhythmus und eine Struktur im Tag zu finden. Viele berichten in Umfragen, sie seien in der Pandemie selbstständiger und organisierter geworden. Ein Grund, warum die Abiturienten in diesem Jahr besser abgeschnitten haben als in vorangegangenen, wird zum Teil darin vermutet, dass das Lernen in kleinen Gruppen intensiver und sehr effektiv war.
Das ist trotzdem kein Plädoyer dafür, nun weiterhin Schüler und Schülerinnen jede zweite Woche oder jeden zweiten Tag nach Hause zu schicken. Denn das überfordert die kleineren Kinder (und bereitet deren Eltern Stress). Es benachteiligt außerdem diejenigen, die zu Hause keinen Platz, keinen Laptop und keine Ruhe finden, weil sie zum Beispiel mit vielen anderen in einer engen Wohnung leben. Besser wäre es, mehr Pädagogen in den Schulen einzustellen, um die Klassen dort in kleine Gruppen aufteilen zu können.
Mehr Personal
Ja, es herrscht Lehrermangel und der verschwindet nicht so schnell. Aber FSJler, Lehrkräfte im Ruhestand oder Lehramtsstudierende könnten durchaus Kinder betreuen und unterstützen, die gerade eigenständig an einem Projekt arbeiten oder mit digitalen Tools an ihren speziellen Lernlücken oder Talenten arbeiten. Während der Unterrichtszeit würden sie wahrscheinlich effektiver helfen als in freiwilligen Förderkursen am Nachmittag. Übrigens insofern eine Win-win-Situation, als die Studierenden mit dieser Erfahrung später bessere Lehrkräfte werden.
Mindestens ebenso wichtig wie Aushilfskräfte einzustellen ist es allerdings, Sozialarbeiterinnen, Psychologen und Erzieherinnen zu gewinnen, die schon vor Corona an vielen Schulen fehlten. Sie sollten nun endlich dauerhaft und in großer Zahl angestellt werden – für die seit vielen Jahren beschworenen multiprofessionellen Teams. Einige Kultusminister haben tatsächlich bereits neue Stellen angekündigt. Denn auch das ist in der Pandemie klar geworden: Gute Beziehungen zwischen Pädagogen und Schülern und den Schülerinnen untereinander machen Lernen erst möglich. Wer nur Aufgaben per Mail zugesandt bekommt, womöglich ohne Feedback zum Ergebnis, verkümmert allmählich.
Schulen brauchen viel mehr Menschen, die Zeit für jedes Kind und jeden Jugendlichen haben und ihn oder sie mit den eigenen Stärken und Problemen sehen. Das können die Lehrkräfte alleine nicht leisten. Erst recht nicht nach monatelangen Schulschließungen. Denn jetzt brauchen Kinder und Jugendliche nicht nur Unterstützung beim Lernen, sondern auch beim Wiederankommen, beim sozialen Miteinander, beim Aufarbeiten des Erlebten..."