Chatbot ChatGPT in der Schule: "Es führt kein Weg daran vorbei"
Mit ChatGPT ist sie Anfang des Jahres in den Schulen gelandet. Seit dem beschäftigt die künstliche Intelligenz (KI) Lehrer landauf, landab. Und sie stellt alle für Schule und Bildung Verantwortlichen vor große Herausforderungen, sagt Norbert Kissel, Leiter des Staatlichen Schulamtes für den Kreis Gießen und den Vogelsbergkreis. »Sie kommt als Spielerei daher und bleibt als Einflussfaktor.«
Mit ChatGPT hat das Thema künstliche Intelligenz (KI) schlagartig Einzug in den Unterricht gehalten. Sehen Sie für Schulen darin Gefahr oder Chance?
Die Frage nach Gefahr und Chance dürfte derzeit noch niemand beantworten können. Sicherlich wird dieser ganze Bereich Einzug in unser aller Leben halten. Ob es ein Gewinn ist, wenn uns nach und nach eine Software das Denken abnimmt? Auf jeden Fall wird diese ›gehypte Innovation‹ das Leben, Lehren und Lernen in unseren Schulen beeinflussen und sie noch digitaler machen. Sie kommt als Spielerei daher und bleibt als Einflussfaktor.
Sollten Lehrer den Chatbot im Unterricht thematisieren und damit möglicherweise erst auf seine Nutzungsmöglichkeiten hinweisen?
Ja, kein Weg führt an einer gründlichen Auseinandersetzung mit dem Thema vorbei. KI ist gekommen, wird bleiben und alle Verantwortlichen für Schule und Bildung vor große Herausforderungen stellen. Wobei ich zum derzeitigen Zeitpunkt mit den Hinweisen auf die Nutzungsmöglichkeiten vorsichtig wäre. Wir brauchen Zeit, wenn wir dieses Tool sinnvoll nutzen wollen.
Zeit, damit Lehrer sich mit der KI und ihren Möglichkeiten auseinandersetzen können. Gibt es Angebote dafür?
Das Staatliche Schulamt unterstützt die Schulen bereits seit einigen Monaten bei der Auseinandersetzung mit der KI-Software ChatGPT. Dafür werden in Zusammenarbeit von dem Bereich Pädagogische Unterstützung am Schulamt und dem M@us-Zentrum Gießen Angebote in Form von Lehrerfortbildungen gemacht.
Heißt konkret?
Es geht darin sowohl um die Vorteile dieser Anwendung als auch um ihre Grenzen, wobei die Nutzung durch Lehrkräfte im Fokus steht. Ihnen bietet die Software die Möglichkeit, mit geringerem Zeitaufwand interessante und kreative Aufgaben zu entwickeln. Allerdings ist es notwendig, die Vorschläge dieser Software zu prüfen und für die Verwendbarkeit im eigenen unterrichtlichen Zusammenhang gegebenenfalls zu verändern. Wichtig ist aber auch, sich mit der auf stochastischen Prinzipien beruhenden Funktionsweise der KI-Software zu beschäftigen, um die Einsatzmöglichkeiten besser einschätzen zu können.
Welche Auswirkungen wird der Chatbot Ihrer Meinung nach auf Hausaufgaben, Unterricht aber auch Prüfungsformate haben und wie wird er Schule verändern?
Das kann man jetzt noch nicht sagen. Ich denke, der Chatbot kann dazu beitragen, den Unterricht aufzulockern, wenn er kreativ eingesetzt wird, und er wird wohl hier und da bei der Erledigung von Hausaufgaben »helfen«. Bezogen auf deren Formate muss dann aber neu nachgedacht werden. Ein Kollege mit viel Sachverstand sieht die digitale Zukunft optimistisch. Er blickt über die momentan noch etwas chaotische Situation in Bezug auf das neue Tool hinaus und schließt nicht aus, dass es dabei unterstützen kann, mit weniger Zeitaufwand ein Mehr in der Vorbereitung und Durchführung von Unterrichtsstunden herauszuholen, Fehleranalysen und Feedback auszulagern und dadurch die Betreuung von Lernprozessen zu verbessern.
Und wie sehen Sie es?
Ich hoffe, er behält recht. ChatGPT ist für mich ein Werkzeug, mehr nicht. Werkzeuge kann man so oder so verwenden. Eine Grundvoraussetzung ist dabei, dass man Werkzeuge zu handhaben versteht, was eine intensive Beschäftigung damit voraussetzt und dass ich für die Verwendung des Werkzeugs die Verantwortung übernehme.
ChatGPT hat bei vielen Lehrern Fragen aufgeworfen. Sie selbst sprechen von einer noch chaotischen Situation. Wann, denken Sie, werden Handlungsanweisungen beispielsweise mit Blick auf Präsentationen im Rahmen der Abiturprüfungen vorliegen?
Angesichts des Betrugspotenzials dieser Software im Rahmen von schriftlichen Aufgabenstellungen bleiben die Auswirkungen auf Prüfungsformate abzuwarten. In diesem Bereich bietet das Land Hessen über das Schulportal Fortbildungen zu einer veränderten Prüfungskultur an.
Welche Vorgaben zu ChatGPT gibt es aus dem Kultusministerium?
Das Ministerium ist mit der Thematik intensiv beschäftigt und steht mit den Staatlichen Schulämtern in engem Kontakt. Eine Verlautbarung an die Schulen ergeht in Kürze.
Offene Fragen, fehlende Handlungsanweisungen, eine noch chaotische Situation. Wo sehen Sie in den nächsten Wochen und Monaten die Aufgabe von für Schule und Bildung Verantwortlichen?
Alles sorgfältig zu beobachten, zu bedenken und im Sinne Adolf Reichweins zu handeln. Der sagte 1937: »Da steht mitunter etwas vor der Schultür, das hat sich nicht angemeldet. Wir haben uns mit ihm zu befreunden!« und meinte den Filmprojektor - auch so eine Innovation in der Schulstube. Aber genau das ist es: Befreunden und nicht ablehnen, sondern sich damit beschäftigen in all seinen Dimensionen und dann entscheiden, was lassen wir zu und was eben nicht.
Quelle: giessener-allgemeine.de; Autorin: Christina Jung