Und dann auf "Account löschen" klicken

"Hassrede, Drohungen, unerfüllbare Erwartungen: Immer wieder entscheiden sich prominente Menschen, soziale Netzwerke zu verlassen, zuletzt Natascha Strobl und Alice Hasters. Ist das ein Trend?
»Dieser Account existiert nicht«: Wenn man bei Twitter nach @alicehasters oder @Natascha_Strobl sucht, erscheint diese Meldung. Bis Mitte März gab es die Accounts der Autorin und der Politikwissenschaftlerin noch, mit  fünf- beziehungsweise sechsstelligen Follower*innen-Zahlen. Hasters twitterte vor allem über rassistische Strukturen und Antirassismus. Strobl wurde mit #NatsAnalysen berühmt, Threads, in denen sie politische Sprache und die Neue Rechte analysierte. Beide hatten auf Twitter Reichweite und Einfluss. Aber offensichtlich auch eine Menge Stress.

Ihrem Ausstieg ging jeweils ein Shitstorm voraus, der aber vermutlich nur der letzte Tropfen in ein Fass voller Anfeindungen war. Hasters kommentierte am 9. März in der Tagesschau Rassismus in Deutschland. Am 13. März wurde sie in einem Tweet des ARD-Presseclubs markiert, der es so aussehen ließ, als habe sie weißen Deutschen pauschal Rassismus vorgeworfen. Strobl war mit einem Journalisten, der über eine Demo gegen Corona-Auflagen in Wien geschrieben hatte, in Streit geraten. Beide Frauen wurden anschließend auf Twitter hart angegangen, vor allem von rechts, und verließen die Plattform. In Strobls Fall gab es anscheinend sogar konkrete Drohungen gegen sie und ihre Familie. Unter dem Hashtag #teamstrobl solidarisierten sich viele User*innen mit ihr. Zurückgekommen ist sie nicht. Auf eine Gesprächsanfrage von jetzt hat sie nicht reagiert, Alice Hasters hat sie über ihren Verlag abgelehnt.

Strobl und Hasters sind nicht die einzigen, die genug von sozialen Netzwerken haben. Vor allem in den vergangenen zwei bis drei Jahren haben immer wieder Menschen mit großer Reichweite ihre Accounts gelöscht oder eine Pause angekündigt. Im Januar 2019 ging etwa der Co-Bundesvorsitzende der Grünen Robert Habeck, im März 2021 das US-Model Chrissy Teigen – die allerdings nach wenigen Wochen schon wieder zurückkehrte. Zwei völlig unterschiedliche Menschen, die aber untereinander mit Strobl und auch mit Hasters eines gemeinsam haben: Social Media war für sie – zumindest vorübegehend – kein guter Ort mehr. Einer ohne vernünftige Diskussionskultur, und manchmal sogar ein gefährlicher. Quer durchs Internet kann man zudem unzählige »Bekennerschreiben« oder Forenbeiträge von Menschen lesen, die diesen Schritt ebenfalls gegangen sind. Menschen mit weniger großen Accounts, die aber ähnliche Erfahrungen gemacht haben.

Umfragen haben ergeben, dass viele Menschen darüber nachdenken, sich abzumelden 
Ein Massenexodus ist zwar nicht im Gang, Twitter wächst den offiziellen Zahlen nach gerade wieder. Das Versprechen der sozialen Netzwerke – miteinander verbunden sein, informiert sein, eine Stimme haben – scheint also weiterhin zu ziehen. Gleichzeitig denken viele Menschen darüber nach, sich abzumelden: Bei einer Umfrage in Deutschland im dritten Quartal 2020 gaben 36 Prozent der Befragten an, möglicherweise ihren Facebook-Account löschen zu wollen, 27 Prozent zogen das für Twitter und 22 Prozent für Instagram in Betracht. Bei einer ähnlichen Umfrage im gleichen Zeitraum in den USA lagen die Werte für Facebook bei 45, für Twitter bei 32 und für Instagram bei 22 Prozent. Fast alle, die auf Twitter oder Instagram aktiv sind, kennen die Überforderung im Strom der Infos und Meinungen, der Herz-Emojis und Hasskommentare – und den Gedanken, den eigenen Account zu löschen und erlöst zu sein. Warum stoßen die sozialen Medien, die uns eigentlich zusammenführen sollten, mittlerweile so viele von uns ab? Was ist passiert? Und was läuft aktuell schief?

Es gibt viele Gründe, Social Media zu schätzen. Das Bedürfnis, wahrgenommen zu werden, wird erfüllt, und wer gesellschaftlich marginalisiert wird, wird hier vielleicht zum ersten Mal überhaupt gehört. »Gleichzeitig wollen wir als soziale Wesen immer Teil einer Gruppe sein«, ergänzt die Soziologin und Psychologin Catarina Katzer, die vor allem zu den Auswirkungen des Digitalen auf unser Denken und Handeln forscht. »Menschen finden, die so denken wie ich, oder Teil einer Bewegung sein, das geht nirgendwo so leicht wie im Netz.« Als negative Effekte nennt Katzer eine sich verkürzende Aufmerksamkeitsspanne und eine »Zerstückelung der Zeit«: Die einzelnen Online-Momente fühlten sich gar nicht so lang an, aber auf einmal sei der Tag vorbei, dann die Woche. Das führe zu einer »digitalen kognitiven Überlastung«. Oder einfacher ausgedrückt: Man ist völlig fertig, ohne so genau zu wissen, warum.

Eines der größten Probleme auf den Plattformen ist mittlerweile aber das Ausmaß an Hass und Hetze. Twitter sei anfangs ein reines Nachrichtenmedium gewesen, sagt Catarina Katzer, heute werde aber immer auch geäußert, was man zu einer Information oder Meinung denkt. Wenn jede*r zu jeder Nachricht und jedem Kommentar etwas beiträgt, möglichst prägnant und meinungsstark natürlich, schaukeln sich die User*innen hoch und die Fronten verhärten sich. Aktuell wird darum jedes Thema hasserfüllt diskutiert, auch, wenn es diese Erregung gar nicht verdient hat..."

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