Neues Infektionsschutzgesetz: Lehrerverbände fürchten verstärkte Coronakonflikte in den Schulen

Nicht rechtssicher, konfliktfördernd, unzureichend: Mehrere Lehrerverbände kritisieren den Entwurf zum neuen Infektionsschutzgesetz scharf. Sie sind in Sorge, dass Streit in Kitas und Schulen getragen wird.
Die Lehrergewerkschaft VBE sieht beim Infektionsschutzkonzept der Bundesregierung noch viele offene Fragen. »Es fehlt weiterhin ein vollumfängliches Sicherheits- und Hygienekonzept, es fehlen weiterhin transparente Stufenpläne auf der Basis bundeseinheitlicher Kriterien«, sagte der Vorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung, Udo Beckmann, am Donnerstag in Berlin.

Gesundheitsminister Karl Lauterbach und Justizminister Marco Buschmann hatten am Mittwoch ihren Entwurf für ein neues Infektionsschutzgesetz vorgelegt. Es sieht eingeschränkte Testauflagen ebenso vor wie eine Maskenpflicht – überlässt aber viele Entscheidungen den Ländern oder lokalen Behörden und Einrichtungen. Schulschließungen sind im Herbst und Winter demnach jedoch nicht möglich.

»Der Entwurf enthält abermals Leerstellen und offene Fragen«, sagte Beckmann. Deren Klärung sei »für ein vorausschauendes, klares und verbindliches Agieren an Schule und Kita« aber »unabdingbar«. Ansonsten seien Konflikte dort vorprogrammiert.

Datenbasis »viel zu dünn« 
Eine Einschätzung, die auch Susanne Lin-Klitzing, Vorsitzende des Philologenverbands, teilt. »Es kann doch nicht sein, dass die konkreten Schutzmaßnahmen auf Ebene der Kita- und Schulleitungen verhandelt und entschieden werden«, sagte sie dem SPIEGEL. Die Bildungseinrichtungen bräuchten einen rechtssicheren Handlungsrahmen – und der müsse idealerweise von der Kultusministerkonferenz definiert werden. »Ich hatte auf einen kriteriengeleiteten Maßnahmenkatalog mit klaren Indikatoren gehofft«, sagte Lin-Klitzing.

Mit dem Entwurf sei sie deshalb nicht zufrieden. Und sie sehe noch ein zweites Problem, sagt die Vorsitzende des Philologenverbands: Die aktuelle Datenbasis, auf der Entscheidungen getroffen werden sollen, sei »viel zu dünn«. Schulen und die gesamte Gesellschaft müssten daher von der Politik eine klare, aussagekräftige Datengrundlage fordern, um im Herbst verantwortungsbewusst handeln zu können.

Eine Spur positiver beurteilt die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft den Gesetzentwurf. »Viele Maßnahmen werden im Coronaherbst hilfreich sein. Es ist richtig, den Ländern die Instrumente zum Schutz der Kinder und Jugendlichen sowie den Beschäftigten in Kitas und Schulen an die Hand zu geben«, sagt Andreas Keller, stellvertretender GEW-Vorsitzender. Dazu gehöre die Maskenpflicht genauso wie die Testpflicht immer dort, wo das Infektionsgeschehen es notwendig mache.

»Politik lässt Kitas und Schulen allein« 
Gleichzeitig, sagt Keller, liege da aber auch ein substanzielles Problem: »Es gibt keine Grenzwerte oder daran gekoppelte Stufenpläne, an die sich die Bundesländer halten müssen. Die Politik lässt die Kitas und Schulen damit allein.« Er befürchtet daher, dass es einen bundesweiten Flickenteppich an Maßnahmen geben werde. »Die Bildungseinrichtungen brauchen verlässliche und einheitliche Stufenpläne, die genau vorgeben, ab welchen Grenzwerten welche Maßnahmen ergriffen werden müssen.« Gleichzeitig sei es völlig unverständlich, warum das Tragen eines Mund- und Nasenschutzes an Grundschulen kategorisch ausgeschlossen werden solle.

»Wir steuern erneut auf einen Flickenteppich an nicht ausdefinierten, teils vagen und unzureichenden Vorgaben zu«, fürchtet auch VBE-Chef Beckmann. Es dürfe nicht dazu kommen, dass am Ende wieder die pädagogischen Fachkräfte und Leitungen an Schule und Kita Entscheidungen treffen und Einschränkungen kommunizieren müssten, für die sie nicht zuständig seien. Die Politik dürfe hier nicht erneut Verantwortung abschieben.

Bundesgesundheitsminister Lauterbach verteidigte die Regierungspläne als »relativ simples Konzept« in zwei Stufen. »Ab dem 1. Oktober kann man vereinfachend sagen gilt überall die Maskenpflicht in Innenräumen«, sagte der Minister dem Sender RTL. Allerdings könnten Besucher von Bars, Restaurants oder Cafés, »wenn man frisch geimpft ist oder frisch genesen, die Maske abnehmen«.

Prien verlangt schnellen Schulgipfel 
»Dass da ein Flickenteppich kommt, hoffe ich nicht«, sagte Lauterbach weiter in der Sendung »RTL direkt«. Die Bundesregierung werde mit den Ländern zusammenarbeiten, damit diese »das Maximum nutzen, das wir anbieten«.

Unterdessen hat die Vorsitzende der Kultusministerkonferenz, Karin Prien, einen nationalen Schulgipfel gefordert. Dabei sollten sich alle zuständigen Ministerinnen und Minister für Gesundheit und für Schulen in Bund und Ländern zum weiteren Vorgehen abstimmen, sagte die schleswig-holsteinische Bildungsministerin dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Eine schnelle Abstimmung mit den Ländern sei jetzt besonders wichtig. »Da warten die Länder immer noch auf die Einladung zu einer gemeinsamen Konferenz«, kritisierte Prien. Ein solcher Gipfel müsse nun umgehend angesetzt werden. 

Quelle: DER SPIEGEL