Mein Jahr mit Corona: Von der Lehrerin zur IT-Fachfrau - Ulrike Gaudigs

"Netzwerkprobleme lösen, Lernstoff digitalisieren und Videokonferenzen moderieren? Das hat eigentlich bisher nicht zur Berufsbeschreibung des Lehrers gehört. Was Musiklehrerin Ulrike Gaudigs aus der Pandemie gelernt hat.
Ulrike Gaudigs wollte nie IT-Expertin werden. Ob die Netzwerkverbindung wirklich stabil ist, ob die Laptopkamera ein gutes Bild liefert und das Mikrofon funktioniert, wie sie selbst im virtuellen Raum wirkt, darüber hat sie sich früher nie Gedanken gemacht. »Dass man den Unterricht mal online halten würde, das hätte ja niemand erwartet. Das ist nicht inbegriffen im Berufsbild des Lehrers, gar nicht«, sagt sie heute und lacht dabei. 

Unterricht: Plötzlich Stillarbeit und tausende E-Mails 
Wie so viele Menschen trifft der erste Lockdown die Deutsch- und Musiklehrerin an der Leipziger Thomasschule völlig überraschend. »Es war wie ein Stopp aus vollem Lauf«, erinnert sie sich. Gerade war eine Chorgruppe von ihrer Chorfahrt zurückgekehrt, die andere sollte eigentlich direkt folgen, da wurde plötzlich alles abgesagt. »Ich hab dann irgendwie versucht, dabeizubleiben und mir zu überlegen, wie es jetzt weitergeht, wie ich meine Arbeit von dem Platz aus, der mit jetzt zugewiesen wurde, weitermachen kann.« 

Statt vor einer Klasse zu stehen, hat sie nun einen Bürojob.

Eigentlich ist der Lehrerberuf ein sehr lebendiger Job. Wo sonst ein Blickkontakt verrät, ob es Lob gibt, Kinder neugierig sind oder sich freuen, aber auch eine kleine Zurechtweisung der Lehrerin, all das kann auf dieser Ebene nicht stattfinden.

Das geht über etwa sechs Wochen so, bevor die Schüler der oberen Jahrgänge unter strengen Auflagen in die Klassenräume zurückkehren, um ihr Abitur zu machen. Schritt für Schritt stellt sich so etwas wie eine Teilnormalität ein. Die fünften bis zehnten Klassen kehren im Mai in den Präsenzunterricht zurück, im Wechselwochenmodell.

Nach den Sommerferien dürfen wieder alle Schüler gemeinsam zurück in den Präsenzunterricht, unter strengen Hygieneauflagen – und sind dabei fast ehrfürchtig. »Ich hab bei meinen Schülern so eine Dankbarkeit empfunden, dass der Unterricht in der Schule stattfinden darf, dass sie in die Schule gehen und sich mit allen Klassenkameraden treffen dürfen. Es gab viel weniger Blockaden oder Störungen oder Diskussionen um Abgabetermine«, erzählt Ulrike Gaudigs.

Datenschutz scheint plötzlich unwichtig
Die Normalität im Frühherbst ist brüchig, niemand weiß, wie weit die Infektionszahlen wieder steigen werden, Lehrer und Schüler bereiten sich auf einen neuen Lockdown vor. Wer kann, schafft sich privat Laptops und Tablets an, die Politik hält die versprochene Lieferung von Geräten nicht ein. Die Schule baut das W-Lan sicherer und umfänglicher aus, damit Lehrer schon jetzt im Unterricht mit ihren Schülern üben können, wie man die neuen Lernplattformen nutzt und auch, um digitale Lehr-und Lernmethoden auszuprobieren.

Die Digitalisierung im Eiltempo wirft auch viele Fragen auf. Während private Daten von Eltern nicht ohne Weiteres zugänglich sind, schauen sie und ihre Kinder plötzlich in die Wohnzimmer der Lehrer. Eine Trennung von Arbeits- und Wohnort ist nicht möglich. Und manchmal hat man das Gefühl, die Schule gar nicht mehr zu verlassen. Das geht den Schülern nicht anders. Auch die Kommunikation über die Lernplattform impliziert vor allem bei älteren Schülern, dass Lehrer immer erreichbar sind und auch Samstag und Sonntag bis Mitternacht dringliche Mails beantworten.

Die Vorbereitung ist hilfreich, denn kurz vor Weihnachten beginnt dann der zweite, lange Lockdown. Dieses Mal findet viel Unterricht digital statt, in Videokonferenzen, bis zu vier pro Tag. Das ist deutlich anstrengender als Präsenzunterricht..."

Zum Erfahrungsbericht auf MDR WISSEN.