Lernen zwischen ChatGPT und Overheadprojektor

Eine Kolumne von Sascha Lobo. Mit Angst, Skepsis und Widerwillen nähert sich das deutsche Bildungswesen dem Thema künstliche Intelligenz. Dabei ist die Technologie längst in den Schulen angekommen – ganz ohne Planung oder Genehmigung.
Mitten im großen Hype rund um künstliche Intelligenz (KI) prescht China vor, und zwar in dem Bereich, der für das Gelingen der digitalen Transformation rund um KI am wichtigsten ist: Bildung. Es ist Mai, und ein Testlauf an Dutzenden Schulen mit Hunderten Klassen beginnt, es geht um das neue Schulfach künstliche Intelligenz. Die Schüler:innen sollen an die Thematik umfassend herangeführt werden, und zwar schon in der Grundschule. Inhaltlich reicht die KI-Ausbildung und die eigens dafür entwickelte (digitale) Schulbuch-Reihe  von ökonomischen und gesellschaftlichen Aspekten über Sicherheit bis hin zur konkreten Software-Programmierung, etwa mithilfe der Sprache Python.

Man könnte schon erstaunlich finden, dass China auf einen derartigen Hype so schnell reagiert. Allerdings ist die Realität noch etwas trauriger, aus deutscher Perspektive, denn das oben Beschriebene ist bereits 2018 geschehen. Die Planung dafür basiert auf einer Regierungsstrategie von 2017 (die hier beschrieben ist und hier teilweise übersetzt wurde), in der naheliegenderweise der Fokus auf Bildung und KI gelegt wurde, und zwar in doppelter Hinsicht: als Lerninhalt und als neue Lerntechnologie.

Sprung nach Deutschland, November 2022, auf die Konferenz Bildung Digitalisierung, der laut Eigenaussage »Leitkonferenz für gute Schule in der digitalen Welt im deutschsprachigen Raum«. Dort möchte eine KI-Expertin den Workshop »Künstliche Intelligenz im Unterricht – wie werden Schüler:innen KI-kompetent?« halten. Eigentlich. Das »Deutsche Schulportal« berichtet: »Doch bevor der Workshop richtig losgeht, ruft jemand in den Raum: ‘Und was ist mit dem Datenschutz?’ Die Community-Managerin muss erst mal mit viel Skepsis im Raum umgehen.« Es handelt sich, wie man leider annehmen muss, um vergleichsweise digitalaffine Bildungsfachleute wie etwa Lehrer:innen, erfahrungsgemäß gehen die durchaus zahlreichen Digitalfeinde in der Bildungslandschaft eher nicht auf solche Konferenzen.

Wer dieses Beispiel für übertrieben hält, kann sich das Interview von Februar 2022 des umsatzmäßig größten und mächtigsten Schulbuchverlegers, David Klett von der Klett-Gruppe, anschauen. Seine Kernaussage lautet: »Keiner weiß, was KI in der Schule soll«.  Das Schulbuch dagegen gebe Sicherheit. Ja, nämlich der Klett-Gruppe und den anderen zwei Schulbuchverlagen, die 90 Prozent des Markts in Deutschland unter sich aufteilen. 

Künstliche Intelligenz trifft Angst
Erste – man muss sie wohl im internationalen Vergleich als zaghaft bezeichnen – Testläufe mit künstlich intelligenter Lernsoftware in Schulen gibt es in verschiedenen Bundesländern seit 2021. Denn natürlich ist ein Teil der Bildungslandschaft und der handelnden Personen fortschrittlich orientiert und bereit, sich den Herausforderungen der digitalen KI-Realität zu stellen – obwohl oft Mittel, Infrastrukturen, Zeit, Know-how und guter Wille von entscheidenden Stellen fehlen. Allerdings sind es eben nicht besonders viele Freunde des Bildungsfortschritts. Zumal der Kampf für mehr und bessere Digitalisierung an Schulen extrem zermürbend sein kann. Zu den größten Hindernissen für KI an deutschen Schulen zählen neben allgemeiner Digitalskepsis folgende, von Fachleuten auf der erwähnten Konferenz  umrissene Punkte: ...

Quelle: SPIEGEL.de, Autor: Sascha Lobo