Überzogener Datenschutz und Unterrichtsmaterialien vom Staat: Wie die Digitalisierung der Schulen ausgebremst wird
"Die Bildung in Deutschland ist ein Schlachtfeld der Ideologien. Um Themen wie Gesamtschule oder Inklusion wird seit Jahrzehnten gekämpft. Pragmatische Lösungen sind dabei selten gefragt. Jetzt droht auch die Digitalisierung der Schulen im ideologischen Grabenkrieg steckenzubleiben, wie sich anhand von zwei Diskussionsrunden auf der Frankfurter Buchmesse aufzeigen lässt, die der Verband Bildungsmedien dort in seinem Forum Bildung veranstaltete. Konkret ging es dabei um den Datenschutz und sogenannte OER, freie Lernmaterialien also.
Wie weit sich die Debatte um Datenschutz in der Schule mittlerweile von der Praxis entfernt hat, wurde in einem unscheinbaren, vermeintlich harmlosen Wunsch deutlich, den der Thüringer Datenschutzbeauftragte Lutz Hasse im Forum Bildung auf der Frankfurter Buchmesse äußerte. Mit Blick auf eine Lernplattform des Hasso-Plattner-Instituts, die das Bundesbildungsministerium mit 20 Millionen Euro Steuergeldern gefördert hat und in deren Konstruktion Hasse deshalb einbezogen wurde, meinte der Jurist: Eine solche Methode, dass ein Produzent mit der Aufsichtsbehörde schon bei der Entwicklung einer Software kooperiere, halte er für »modellhaft« – so sollte es grundsätzlich laufen.
Wie absurd das Ansinnen ist, wurde spätestens mit einer zweiten Bemerkung Hasses deutlich, als er nämlich aus Gesprächen seines baden-württembergischen Amtskollegen mit Microsoft verriet, dass doch tatsächlich der US-Konzern nicht preisgeben wolle, wie er Daten zur Entwicklung seiner Produkte nutze. Heißt also: Datenschutzbeauftragte deutscher Bundesländer erwarten allen Ernstes, dass ein Tech-Weltkonzern seine Betriebsgeheimnisse mit ihnen teilt. Und weil er das nicht tun möchte, raten diese Datenschutzbeauftragten – wie dann auch Hasse – den Schulen ab, Microsoft-Produkte zu nutzen, die in Millionen deutschen Haushalten und Unternehmen selbstverständlich sind.
Wohlgemerkt: Es geht dabei nicht um festgestellten Missbrauch von Schülerdaten. Den gibt es nämlich nicht. Microsoft beteuert, alle Bestimmungen der Datenschutzgrundverordnung einzuhalten. Es geht allein um die Möglichkeit, dass der Konzern (deutsche) Schülerdaten missbrauchen könnte, die zum Boykottaufruf führt.
Spinnen wir den Faden doch mal weiter: Unternehmen könnten möglicherweise auch Steuern hinterziehen oder ihre Kunden betrügen (soll es bei deutschen Autokonzernen ja mal gegeben haben), vielleicht könnten hinter Bürotüren sogar Mord und Totschlag geschehen, wer weiß – brauchen wir deshalb Aufsichtsbeamte in jedem Betrieb? Oder sind das nicht vielmehr Allmachtsfantasien von Staatsbediensteten, die zunehmend ihren eigentlichen Auftrag, den unbestreitbar notwendigen Datenschutz in einer Informationsgesellschaft zu sichern und (echte) Missbräuche zu ahnden, aus dem Blick verlieren?
Der ideologische Kurs der deutschen Datenschützer hat schwerwiegende Konsequenzen für die Digitalisierung der Schulen
Tatsächlich hat der ideologische Kurs der deutschen Datenschützer schwerwiegende Konsequenzen für die Digitalisierung der Schulen, wie sich aus einem Disput zwischen Hasse und Cornelsen-Geschäftsführer Frank Thalhofer entnehmen ließ. Es ging dabei um Lernsoftware, die mit Schülerdaten arbeiten muss, um etwa Lernfortschritte feststellen und Lehrkräften treffsichere Diagnosen liefern zu können. Die genutzten Daten würden »pseudonymisiert«, erklärte Thalhofer – heißt: Die Lehrkraft allein wisse, welcher Schüler sich hinter einem genutzten Code verberge.
Hasse (der auch schon Lehrerinnen und Lehrer in Thüringen mit Strafverfahren bedroht hat, weil sie im ersten Lockdown Zoom für den Distanzunterricht genutzt hatten) fuhr dazwischen: Das gehe aber nicht – weil damit ja prinzipiell Rückschlüsse auf den Klarnamen möglich seien. Thalhofers Einwand, dass weder Bildungsverlage noch Lehrkräfte ein Interesse an einem Datenschutzskandal hätten und deshalb auch niemand eine Rückverfolgung unternehmen werde, ließ Hasse emotional abprallen: Es gehe schließlich um Kinderdaten…
Wäre dies tatsächlich das Ende der Debatte, könnte sich das Industrieland Deutschland von allen KI-Lernformaten, die derzeit weltweit entwickelt werden und in absehbarer Zeit zum internationalen pädagogischen Standard gehören werden, schon mal verabschieden.
Warum drängt der Staat jetzt in OER? Es geht dabei ums Geld – und um Ideologie
Aber dafür bekommen die deutschen Schulen ja auch etwas: Gratis-Lernmaterialien vom Staat nämlich, die ein unermüdlicher Schwarm von Ehrenamtlichen ständig entwickelt und pflegt – so jedenfalls stellen sich das offenbar Politiker vor, die eine Menge Steuergeld dafür aufwenden, um sogenannte OER (Open Educational Resources, also lizenzfreie Unterrichtsmaterialien) in den Unterricht zu bekommen. Dafür wurden eigens staatliche Plattformen entwickelt, »Mundo« beispielsweise, »die offene Bildungsmediathek der Länder«. Das Merkwürdige daran: eine solche Plattform gab es längst, nämlich 4teachers, wo im kollegialen Austausch mehr als 100.000 Unterrichtsmaterialien tagtäglich von Lehrkräften zu Lehrkräften weitergereicht werden.
Warum drängt der Staat jetzt hier hinein? Es geht dabei zum einen ums Geld, so erklärte Ilas Körner-Wellershaus, Vorsitzender des Verbands Bildungsmedien, im Gespräch mit Verbandsgeschäftsführer Christoph Pienkoß. Denn offenbar versprechen sich Kultusminister von OER immense Einsparmöglichkeiten, wenn perspektivisch – so das Kalkül – diese Materialien verbindlich gemacht werden können und dann von staatlicher Seite nichts mehr für Verlagsprodukte bezahlt werden muss. Und zum anderen, so Körner-Wellershaus: »Dahinter steckt oft ein missionarischer Impuls.« Ideologie eben.
Denn dem »Schwarm« wird von so manchem mehr getraut als dem Markt und den darauf agierenden Bildungsverlagen. Es ist also kein Zufall, dass sich das Bundesbildungsministerium bei Wikimedia, der Trägergesellschaft der Wikipedia, Beratung in Sachen OER einkaufte. Dass sich an der Online-Enzyklopädie alle grundsätzlichen Probleme festmachen lassen, die sich aus freien Materialien ergeben – mangelhafte Qualitätskontrolle, versteckter Lobbyismus, Autorinnenmangel (fast nur Männer engagieren sich) und, damit verbunden, eine einseitige Themenauswahl –, ficht dabei niemanden an. Bei 4teachers sorgen ehrenamtliche Redakteurinnen und Redakteure, allesamt Lehrerinnen und Lehrer, für die Qualitätskontrolle. Für ihren Dienstherren werden Lehrkräfte aber kaum unentgeltlich in der Freizeit arbeiten wollen..."