Perspektiven der Lehrerausbildung: Wie bringen angehende Lehrkräfte das, was sie an den Unis lernen, in den Unterricht?
"Die Corona-Krise wirbelt die Schulen durcheinander – und auch die Lehrerausbildung in der zweiten Phase, dem Referendariat, bekommt die Folgen zu spüren. Absolventinnen und Absolventen klagten über verschobene Prüfungen, weniger Unterrichtsbesuche und Seminare als Online-Veranstaltungen. Kommen nun Junglehrerinnen und -lehrer in die Schulen, denen wichtiges Rüstzeug für ihre künftige Berufspraxis fehlt? Helmut Klaßen, Bundesvorsitzender des Bundesarbeitskreises (bak) Lehrerbildung, der bundesweit Ausbilderinnen und Ausbilder vertritt, gibt im Interview Entwarnung – teilweise jedenfalls.
News4teachers: Die Corona-Krise hat die grundsätzlichen Probleme der Schulen, so heißt es, nochmal verschärft – gilt das auch für die Lehrkräfteausbildung?
Helmut Klaßen: Die Pandemie hat selbstverständlich einen nicht zu vernachlässigenden Einfluss auf die Lehrkräfteausbildung gehabt und hat sie immer noch. Die Situation würde ich aber nicht als dramatisch bewerten. Natürlich, wenn jemand in Quarantäne muss, dann fällt er/sie aus, dann klafft eine Lücke – das gilt für die Kollegien in der Schule und das Problem haben wir in der Lehrkräfteausbildung ebenso.
Nun plagt uns diese Pandemie ja seit mittlerweile zwei Jahren und es hat durchaus ein Veränderungsprozess stattgefunden. So manche Ausfälle sind tatsächlich mittlerweile relativ gut kompensierbar. Wenn Seminare digital, also in Distanz stattfinden, dann ist das eine Möglichkeit, die funktionieren kann. Das funktioniert sicher nicht so gut wie in Präsenz. Bundesweit höre ich aber, dass die Seminare trotz der Pandemie ihrer Arbeit in angepasster Form niveauvoll und mit hoher Qualität nachgekommen sind. Und dass trotz meist zurückgehender personeller und finanzieller Ressourcen.
Ich möchte die Probleme aber auf keinen Fall beschönigen. Wir sind froh, wenn wir die Pandemie hinter uns gelassen haben und die Seminarräume wieder so belegen können, wie das vorher der Fall war. Der direkte persönliche Austausch hat durchaus eine andere Qualität als im digitalen Raum. Aber ich denke, wir haben mittlerweile Verfahren entwickelt, die praktikabel sind.
Wenn ich an ein grundsätzliches Problem bei der Lehrkräftebildung denke, dann geht es dabei vor allem um eine kohärente Verschränkung von Theorie und Praxis. Wie bringen angehende Lehrkräfte das, was sie an den Unis lernen, in den Unterricht? Das ist ein wichtiger Punkt in der Lehrkräfteausbildung, der weitergedacht werden muss – und da geht auch während der Coronakrise weiter, zumindest gedanklich.
Der Kongress »Qualitätsoffensive Lehrerbildung«, der im November in Berlin veranstaltet wurde, hat sehr gute Beispiele für eine bessere Verbindung der Ausbildungsphasen auf den Tisch gebracht. Leider wird dabei fast ausschließlich an die erste Phase gedacht. Eine engere Verzahnung und ein damit einhergehender Transfer kann im Rahmen der Qualitätsoffensive nur funktionieren, wenn die zweite Phase in die Forschung integriert und mit entsprechenden Ressourcen versehen wird. Dieser vernetzende, phasenübergreifende Gedanke muss weitergedacht werden – ob mit oder ohne Corona.
News4teachers: In Bezug auf die Weiterentwicklung der Lehrkräfteausbildung ist aus Ihrer Sicht Corona kein Stoppsignal gewesen?
Helmut Klaßen: Es ist definitiv weitergegangen. Im ersten Coronajahr ist man in allen Richtungen ausgebremst worden, aber es wurden Wege gefunden, um weiterzugehen.
Es gibt in den einzelnen Bundesländern bereits unterschiedliche praxisorientierte Verzahnungen zwischen Uni und Seminar: Praxissemester, personelle Überschneidungen, Runde Tische mit Abgleich der Modulhandbücher der Uni und den Ausbildungsplänen der Seminare. Das sind Anfänge, welche weitergedacht werden dürfen. In Folge werden dann die zu lösenden Probleme deutlich, Stichwort: Ressourcenausstattung in der zweiten Phase. Viele Ideen, die in der ersten Phase beziehungsweise auch in kooperativen Zusammenhängen entstehen, sind nicht mit Ressourcen unterlegt und da wird es auf jeden Fall haken, egal ob wir Corona haben oder nicht.
News4teachers: Die Digitalisierung ist im vergangenen Jahr mit Schwung über die Schulen gekommen – auch über die Lehrkräfteausbildung?
Helmut Klaßen: Ganz klar: Ja. Es hätte viele, viele Jahre gedauert, um den Stellenwert der Digitalisierung oder auch nur die Möglichkeiten, die Digitalisierung bietet, so auf den Punkt zu bringen, wenn wir nicht durch die Krise herausgefordert worden wären. Ich kann das Beispiel einer Kollegin anführen, die vorher gemeint hat,c»nee, damit muss ich mich nicht mehr auseinandersetzten. Ich habe noch sechs Jahre bis zur Pensionierung. Da komme ich drumherum«. Mittlerweile ist sie begeistert auf einer Lernplattform unterwegs, sie macht Videokonferenzen, ohne mit der Wimper zu zucken, hat alle Ängste und Hemmungen abgebaut – und das wäre ohne den Druck niemals so passiert. Ich gehe davon aus, dass wir durch die Digitalisierung eine Flexibilität gewinnen werden und künftig von einem anspruchsvollen Mix aus Präsenz- und Distanzveranstaltungen, aber auch asynchronen Angeboten profitieren werden.
News4teachers: Sind die Ausbilderinnen und Ausbilder denn grundsätzlich selbst genügend fürs Lehren und Lernen mit digitalen Medien ausgebildet?
Helmut Klaßen: Das ist ein weites Feld. Ich würde mal sagen, das Gros ist mittlerweile mit der Technik vertraut. Aber: Viele Kolleginnen und Kollegen haben sich ihre Kenntnisse selbst aneignen müssen. An systematischen Fortbildungen hapert es nach wie vor. Entsprechende Veranstaltungen gibt es zwar mittlerweile, das finde ich sehr positiv, aber es braucht auch Zeit, diese Fortbildungen nutzen zu können. Zudem braucht es Zeit, das in der Fortbildung Erlernte für die Praxis anwendbar zu machen. Diese Zeit wird den Ausbilderinnen und Ausbildern nicht eingeräumt, und das ist mein großer Kritikpunkt. Hier spreche ich zunächst einmal nur von den technischen Fertigkeiten. Dazu kommt eine digitale Medienkompetenz, die deutlich mehr bedeutet, als sich mit den technischen Gerätschaften auszukennen. Gemeint ist Medienerziehung, Mediendidaktik und die damit verbundene Haltung.
News4teachers: Also, wenn in der Ausbildung der Lehrkräftenachwuchs auf eine digitale Welt eingestimmt werden soll, dann sollten die Ausbilderinnen und Ausbilder auch davon überzeugt sein…
Helmut Klaßen: Es muss gelebt werden. Ich erfahre in vielen Bereichen, dass der Wille da ist, aber es fehlt die Ressource Zeit, um sich so fundiert damit auseinanderzusetzen, damit man eine digital unterstützte Pädagogik wirklich leben kann. Es gibt in den Ländern verschiedene Beispiele die zeigen, wie Digitalisierung unterstützend wirken kann, beispielsweise als eine große Chance zur sinnvollen Individualisierung, Stichwort »Diklusion«, also Digitalisierung und Inklusion. Deshalb fordert der bak ja schon seit Langem – auch schon vor der Pandemie –, dass die notwendigen Ressourcen für das konzeptionelle Arbeiten, für die Implementierung und Realisierung neuer Konzeptionen für alle die an der Ausbildung beteiligt sind, bereitgestellt werden. Das ist etwas, was die Politik nicht sieht.
News4teachers: Bringen die jungen Leute vielleicht ohnehin schon das mit, was sie brauchen, um auch digital künftig unterrichten zu können – als sogenannte »digital natives«?
Helmut Klaßen: »Digital natives« sehe ich derzeit noch nicht in die Schule hineinströmen. Natürlich ist das individuell sehr verschieden. Im Prinzip ist hier auch die erste Phase der Lehrerbildung, die universitäre, stärker gefordert.
News4teachers: Im Herbst haben Sie den bak-Seminartag veranstaltet, auf dem ein Ausblick auf die Schule der Zukunft gegeben wurde. Dabei wurde vor allem deutlich, wie sehr es des Teamworks in den Kollegien bedarf, um den wachsenden Anforderungen gerecht werden zu können. Werden künftige Lehrkräfte darauf vorbereitet? Oder bilden wir noch immer Einzelkämpferinnen und Einzelkämpfer aus?
Helmut Klaßen: Teamwork spielt eine sehr große Rolle. Das multiprofessionelle Zusammenarbeiten in Schule ist anerkannt und wird in der Ausbildung als Ansatz mitgedacht. Bereits 2013 gab es zum Thema »Kooperationen und multiprofessionelle Teams« einen bak-Seminartag. Auf dem Seminartag im vergangenen Jahr ist aber auch deutlich geworden, dass die Situation an der jeweiligen Schule eine wichtige Rolle spielt, wie die Kolleg*innen auf professioneller Ebene im Team miteinander umgehen. Es ist in Heidelberg deutlich geworden, dass nicht nur multiprofessionelle Teams, sondern vor allem auch die kollegiale Kooperation eine Voraussetzung darstellt, um eine professionelle Stabilität in einer komplexen und sich verändernden Berufswelt zu gewinnen.
News4teachers: Die Corona-Krise hat in der Bildung viele Themen überschattet, die jahreslang die Debatte bestimmt haben: Heterogenität der Schülerschaft, Inklusion, individuelle Förderung – kann eine gute Lehrkräfteausbildung ausgleichen, was die Politik mit schlechter Ressourcenausstattung verbaselt?
Helmut Klaßen: Die Themen bleiben. Sie verschwinden weder durch die Pandemie noch durch die Digitalisierung. Natürlich bleibt die Heterogenität der Schülerschaft als zunehmende Herausforderung auf der Tagesordnung. Aber auch große Themenfelder der KMK, wie beispielsweise »Demokratie als Ziel, Gegenstand und Praxis in der Schule«, »Bildung für nachhaltige Entwicklung« oder die KMK Empfehlungen aus dem vergangenen Jahr zum Thema »Lehren und Lernen in der digitalen Welt«, welche alle eng miteinander verbunden sind, müssen zwingend Thema in Schule und somit auch in der Lehrkräftebildung sein. Der bak ist hier in allen Themenbereichen aktiv durch Veröffentlichungen in unserer Zeitschrift »SEMINAR« oder auch durch unterstützende Veranstaltungsangebote.
News4teachers: Stichwort Seiteneinstieg: Wie ist dabei die Lage – müssen wir immer noch erleben, dass Nicht-Pädagogen ohne weitere Qualifizierung vor eine Klasse gestellt werden?
Helmut Klaßen: Der Lehrkräftemangel besteht – und wird uns definitiv noch länger beschäftigen. In einigen Bundesländern ist die Problematik nicht nur seit Jahren präsent, sondern immer noch weiter zunehmend. Wir werden auch künftig mit Quer- und Seiteneinsteigern in den Lehrerberuf zu tun haben. Entscheidend ist dabei, das hat der bak schon vor der Pandemie ganz klar formuliert, dass eine adäquate Qualifizierung erfolgen muss. Hier gibt es in den Bundesländern verschiede Ansätze, in der die Ausbilder*innen der zweiten Phase sehr gute Arbeit leisten.
Der bak hat hier klare Forderungen formuliert: Grundlegende Voraussetzung ist zunächst, dass eine gute fachliche oder berufliche Praxis vorhanden ist. Darüber hinaus muss aber auch eine Prüfung der Einstellungseignung erfolgen, an der auch Ausbilder*innen der zweiten Phase beteiligt sind. Es sollte eine fundierte Einschätzung dazu geben, ob es überhaupt Sinn ergibt, diese Person für den Schuldienst auszubilden.
News4teachers: Ist das denn in allen Bundesländern gegeben?
Helmut Klaßen: Ich sehe durchaus gute Modelle in verschiedenen Bundesländern, die aber an verschiedenen Stellen gewissen Optimierungsbedarf haben ..."
► Das ganze Interview mit Helmut Klaßen finden Sie bei News4teachers.