"Digitales Chaos": Warum ein Schul-IT-Experte Gebauers Plattform LOGINEO für einen Totalausfall hält
Nordrhein-Westfalens Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) ist womöglich mit dem Aufbau einer digitalen Plattform für die Schulen im Land gescheitert. Statt des ursprünglich angekündigten Angebots aus einem Guss, mit dem Lehrkräfte unterrichten und kommunizieren können, gibt es unter dem Namen »LOGINEO« gleich mehrere getrennte Anwendungen, die allesamt aus der Zeit gefallen scheinen. Auch nach mehr als zehn Jahren Entwicklungsarbeit haben die meisten Schülerinnen und Schüler keinen Zugang zu dem System. Der Schul-IT-Experte Dieter Pannen spricht von einem »Totalausfall«.
Anfragen zur Schulplattform LOGINEO beantwortet das dafür verantwortliche nordrhein-westfälische Schulministerium erkennbar unwillig. Gefragt, warum denn ein neues Fortbildungsangebot für Lehrkräfte nur darüber zugänglich sein soll – was Schulen, die andere Plattformen nutzen möchten, praktisch ausschließt -, antwortet die Pressestelle zunächst kryptisch: »Das Angebot der Lehrkräftemaßnahme der Digitalen Fortbildungsoffensive wird in einem extra dafür bereitgestellten LOGINEO NRW LMS (Lernmanagementsystem) angeboten. Das Vorhandensein eines LOGINEO NRW LMS an der Schule der Teilnehmenden ist daher nicht erforderlich.«
Nachfrage: Heißt das jetzt, dass der Zugang zum Fortbildungsangebot tatsächlich nur über LOGINEO möglich ist? Es kommt als Antwort die gleiche Mail wie beim ersten Mal: »Das Angebot der Lehrkräftemaßnahme der Digitalen Fortbildungsoffensive wird in einem extra dafür bereitgestellten LOGINEO NRW LMS (Lernmanagementsystem) angeboten. Das Vorhandensein eines LOGINEO NRW LMS an der Schule der Teilnehmenden ist daher nicht erforderlich.« Alles klar?
»Von einer ‘Arbeitsplattform’ kann mangels grundlegender Funktionen überhaupt keine Rede sein«
Die Unverständlichkeit hat womöglich System. Dieter Pannen, Lehrer im Ruhestand und Vorsitzender des Vereins moodleSchule, meint, dass das Schulministerium bei LOGINEO einer »Vernebelungsstrategie« folgt – um einerseits möglichst viele Schulen an das aus Steuermitteln finanzierte »Angebot« des Landes zu binden (was sich in offiziellen Statistiken zur Nutzung gut macht), um andererseits aber die gravierenden Defizite des Systems nicht allzu offenkundig werden zu lassen. Und die beginnen augenscheinlich schon bei der offiziellen Beschreibung dessen, was LOGINEO überhaupt sein soll.
»Das Land NRW stellt den Schulen in Nordrhein-Westfalen eine digitale Arbeits- und Kommunikationsplattform zur Verfügung, die schulische Abläufe vereinfacht und dabei den Anforderungen des Datenschutzes entspricht«, so heißt es auf der Homepage des Schulministeriums.
Falsch, sagt Pannen: »Von einer ‘Arbeitsplattform’ kann mangels der grundlegenden Funktionen Schreiben, Rechnen, Präsentieren überhaupt keine Rede sein und die angebliche ‘Kommunikationsplattform’ (dienstliche Email) steht lediglich den Lehrkräften zur Verfügung. Kooperatives und kollaboratives Arbeiten, so wie es heute in Office 365, GoogleWorkspace, NextCloud etc. möglich ist, kann mit LOGINEO NRW nach über 10 Jahren Entwicklungsarbeit immer noch nicht realisiert werden.« Der Aufbau eines Wissensmanagements in Schulen, das zur Grundlage des Unterrichts dienen kann, sei mit LOGINEO überhaupt nicht möglich, zumal ja auch bis heute den meisten Schülerinnen und Schülern der Zugang verwehrt werde.
So stellt auch der »Spiegel« in einer aktuellen Bilanz über die Arbeit von Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) konsterniert fest: »Die digitale Lernplattform LOGINEO NRW, an der Gebauers Ministerium schon seit 2017 herumdoktert, kann zwei Jahre nach Beginn der Pandemie noch immer nicht von allen Schülerinnen und Schülern benutzt werden.« Das ist derzeit laut Ministerium lediglich an 140 Schulen möglich – von 5.100 in Nordrhein-Westfalen.
»LOGINEO ist eine geschützte Arbeitsplattform für optimale Kommunikation, Organisation und Dateiverwaltung«
Der Fairness halber muss festgehalten werden: Tatsächlich ist das Ministerium für Schule und Bildung (MSB, früher: Ministerium für Schule und Weiterbildung, MSW) bereits seit 2011 mit LOGINEO beschäftigt. Die Auftragsvergabe sowie die ersten sechs Jahre Entwicklungszeit hat Gebauer, die 2017 ins Amt kam, also nicht zu verantworten.
Die Plattform, die den Schulen »eine geschützte Arbeitsplattform für optimale Kommunikation, Organisation und Dateiverwaltung« bieten sollte, wurde von der damaligen Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) bei der Medienberatung NRW und beim Kommunalen Rechenzentrum Niederrhein (KRZN) bestellt. Der Start von LOGINEO war ursprünglich bereits für 2016 vorgesehen. Er musste dann aber aufgrund von technischen Problemen verschoben und schließlich von Gebauer kurz nach ihrem Amtsantritt vorerst gestoppt werden. Die Ministerin habe damit die Konsequenz aus gravierenden Sicherheits- und Datenschutzmängeln gezogen, mit denen LOGINEO behaftet sei, so hieß es seinerzeit.
Mittlerweile ist LOGINEO NRW zwar am Start. Allerdings hat das heutige Konstrukt wenig mit dem zu tun, was mal ursprünglich entwickelt werden sollte. Das Schulministerium vermarkte unter dem Oberbegriff gleich drei »Produkte«, die nichts miteinander zu tun hätten, erklärt Pannen: erstens, eine Schulplattform, zweitens, ein Lernmanagementsystem und, drittens, einen Messenger. Keine der Lösungen hält er für auch nur annähernd zufriedenstellend.
In die Schulplattform sei lediglich die OpenSource Groupware Sogo mit den Funktionen Email, Kalender und Adressbuch eingebunden. Eine Integration mit anderen schulischen Webapplikationen sei nicht vorgesehen und technisch unmöglich. Als Lernmanagementsystem sei – unter dem Druck der Pandemie – auf die Schnelle ein »rudimentäres Moodle-System« ausgeschrieben und eingesetzt worden, bei dem pädagogisch sinnvolle Plugins fehlten. So gebe es nicht einmal die Möglichkeit, Daten zwischen Schulplattform und Lernmanagementsystem zu transferieren.
Dazu kommt: »LOGINEO ist 2010 mit dem Ziel entwickelt worden, mit nur einem Login (SinglSignOn) sämtliche weiteren, zukünftigen Webdienste nutzen zu können«, erklärt der Schul-IT-Experte. »Mit der Einführung von gleich drei Webapplikation hat das Ministerium an den Schulen nicht nur ein digitales Chaos angerichtet, sondern auch die Strategie, mit nur einem Login zusätzliche Webdienste nutzen zu können, aufgegeben.«
Schulen, die nun die gesamte LOGINEO-Familie einsetzen wollen, müssten für jedes Modul die Benutzerkonten einpflegen und stets auf dem neuesten Stand halten – bei insgesamt 2,3 Millionen Schülern plus Erziehungsberechtigten und rund 200.000 Lehrkräften »ist diese Aufgabe von Schulen nicht zu bewältigen«. Pannens Fazit: »Die Digitalstrategie des MSB ist gescheitert.« Die technologische Entwicklung sei über LOGINEO, für das vom Land bis 2019 5,8 Millionen Euro aufgewendet worden waren, buchstäblich hinweggegangen.
Das Ergebnis sieht dann in der Praxis so aus:
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Lehrkräfte verfügen über LOGINEO zwar über eine dienstliche E-Mail-Adresse. Allerdings kann die lediglich für die Kommunikation innerhalb des Systems genutzt werden, weil (so Pannen) »der Mailer aufgrund mangelhafter Absprachen mit den Schulträgern nicht in bereits bestehende Basis-IT-Infrastrukturen eingebunden werden kann«. Die Folge: Lehrkräfte können sich also damit gegenseitig Mails schreiben, aber Schüler oder Eltern nur dann kontaktieren, wenn diese im Schulverwaltungsprogramm SchILD eine E-Mail-Adresse hinterlegt haben.
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Einer Lehrkraft steht für ihr E-Mail-Postfach ein Speichervolumen von einem GB zur Verfügung. In der Dateiablage beträgt der Speicherplatz fünf GB. Der Speicherplatz pro Schule liegt zunächst bei 100 GB. Zum Vergleich: Ein USB-Stick mit 125 GB Speichervolumen wird im Netz zum Preis von 11,99 Euro angeboten.
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Lehrer-Laptops, die aus Mitteln des Digitalpakts angeschafft wurden, lassen sich mittels LOGINEO nicht verwalten. Die Folge: Schulträger müssen zusätzlich ein Mobile Devise Management einführen. Wie Schüler-Laptops eingebunden werden sollen, ist unklar.
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Ohnehin könne von einer »Basis-IT-Infrastruktur« nicht die Rede sein, so Pannen. »Selbst die Übertragung der Benutzerdaten aus dem vom Land den Schulträgern kostenlos bereitgestellten Schulverwaltungsprogramm SchILD aus dem Verwaltungsnetz ins pädagogische Netz ist bis heute stümperhaft geregelt. Häufig erfolgt noch die Übertragung der im (Schul-)Verwaltungsnetz verwalteten Benutzerdaten ins pädagogische Netz per CSV- oder XML-Datei mittels USB-Stick.«
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In der Pandemie war LOGINEO dem Ansturm nicht gewachsen, sagt Pannen. »Logineo NRW (Sogo/EduSharing) war über mehrere Wochen nicht erreichbar. Der Mailer versagte meist dann seinen Dienst, wenn er am dringendsten benötigt wurde.«
Epilog: Auf die zweite Nachfrage von News4teachers, warum denn die neuen Fortbildungsangebote für die Lehrkräfte in NRW nur über LOGINEO abrufbar sind, kam dann doch noch eine neue Antwort aus dem Schulministerium – und zwar folgende: »Die den Schulen zur Verfügung gestellten Instanzen des LOGINEO NRW LMS werden durch diese entsprechend individuell verwaltet. Die Digitale Fortbildungsoffensive wird als Landesmaßnahme zentral verwaltet. So werden dort die entsprechenden Kursinhalte schulübergreifend allen Lehrkräften – also auch denjenigen, die nicht LOGINEO NRW LMS einsetzen – zur Verfügung gestellt.« Alles klar? Uns nicht. Auf eine dritte Nachfrage haben wir aber verzichtet.
Quelle: News4teachers