Selbstevaluations-Tool aus Baden-Württemberg auf dem Weg zur digitalen Schule
Das Arbeitsblatt kommt per E-Mail, und die Lehrerin erklärt neuen Stoff auf dem Bildschirm: Die Corona-Pandemie hat Schulen – aus der Not heraus – digitaler gemacht. Jetzt geht es darum, eine Strategie für die digitale Schulentwicklung zu erarbeiten und weitere Schritte zu planen. Wo die Schulen dabei stehen und was sie als Nächstes angehen sollten, können sie in Baden-Württemberg künftig mithilfe einer Online-Befragung herausfinden. Nach den Sommerferien beginnt im Südwesten die Erprobungsphase für das »Tool digitale Schule«, ein Fragebogenpaket für Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler sowie Eltern. Andreas Temeschinko, selbst ehemaliger Realschullehrer, ist stellvertretender Referatsleiter für Digitalisierung und Medienbildung im Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg. Er verantwortet das Tool und erklärt hier, was es leisten soll.
Schulportal: Herr Temeschinko, inwieweit stehen Schulen in Sachen Digitalisierung heute besser da als vor einigen Jahren?
Andreas Temeschinko: Was die Infrastruktur und die Ausstattung der Schulen angeht, sind wir durch den »DigitalPakt Schule« einen großen Schritt vorangekommen. Da sprechen wir von WLAN, schuleigenen Servern und Endgeräten aller Art. Ein weiterer Punkt ist die Fortbildung unserer Lehrkräfte: Wir haben in den vergangenen Jahren viel unternommen, um die Lehrkräfte fit zu machen im Umgang mit digitalen Medien. Außerdem stellen wir, beispielsweise über unsere »SESAM-Mediathek«, den Lehrkräften geprüfte bildungsplankonforme Inhalte zur Verfügung, die sie für ihren Unterricht verwenden können.
Das Tool soll diese Fortschritte sichtbar machen und aufzeigen, wo die Entwicklungspotenziale liegen. Wie genau?
Es handelt sich im ersten Schritt um ein Instrument zur freiwilligen Selbstevaluation. Wir haben in Baden-Württemberg bereits ein Schul-Tool, mit dem die Schulen selbstständig Fragebögen erstellen und damit interne Umfragen zu bestimmten Themen durchführen können. Das Tool wird jetzt um Fragebögen speziell zu Themen rund um die Digitalität erweitert und soll dabei unterstützen, schulspezifische Entwicklungsbedarfe konkret zu identifizieren, um für die eigene Schule passgenaue und zielführende Maßnahmen zur weiteren pädagogisch ausgerichteten Digitalisierung ableiten zu können.
An welchen Kriterien wird die digitale Schulentwicklung gemessen? Sind die Maßnahmen der Übersichtlichkeit halber kategorisiert – und wenn ja, wie?
Wir stellen Fragen zu fünf Bereichen. Das sind, erstens, Fragen zur digitalen Infrastruktur und Ausstattung, also alles rund um Internetverbindung und Endgeräte. Das ist sozusagen die Grundvoraussetzung für alle weiteren Bereiche. Zweitens fragen wir die datengestützte Qualitätsentwicklung ab – also beispielsweise, ob und inwieweit die Schule eine eigene digitale Strategie hat. Der dritte Bereich dreht sich um die Rolle der Schulleitung bei der Digitalisierung. Im vierten Themenbereich stellen wir Fragen rund um die Professionalität und Zusammenarbeit. Dabei geht es beispielsweise darum, wie Materialien geteilt werden, wie konferiert wird und wie die Schule mit Schülern und Eltern kooperiert. Unter den fünften Bereich fällt das Thema »Lehren und Lernen« – mit und über Medien sowie die Individualisierung.
Können Sie ein konkretes Beispiel für eine Frage nennen?
Im Bereich der Infrastruktur und Ausstattung fragen wir zum Beispiel ab, wie zufrieden die Teilnehmenden mit der digitalen Ausstattung an ihrer Schule sind, also mit Computern, Tablets, Visualizern oder Beamern. Oder aber, inwieweit sie an ihrer Schule Lösungen gefunden haben, damit alle Schülerinnen und Schüler mit digitalen Medien lernen können. Mit Fragen zum Bereich Medienkompetenz erfassen wir beispielsweise auf der Seite der Lehrkräfte, wie sicher sich diese im Umgang mit digitalen Medien fühlen, und können dadurch Fortbildungsbedarfe sichtbar machen. Im Bereich Lehren und Lernen mit Medien geht es darum, wie digitale Medien das Lehren und Lernen erweitern, unterstützen und individualisieren können. So fragen wir zum Beispiel, wie hilfreich digitale Medien für das individualisierte Lernen (zum Beispiel differenzierte Arbeitsmaterialien, Selbstlernprogramme etc.) sind.
Wer hat den Fragebogen inhaltlich erarbeitet?
Die inhaltliche Arbeit obliegt dem Institut für Bildungsanalysen Baden-Württemberg (IBBW). Da es uns wichtig war, viele Perspektiven zu berücksichtigen, haben wir eine Begleit-AG – bestehend aus Vertretern der Kultus- und Schulverwaltung, Schulträgern und Lehrerverbände – installiert, die den ganzen Prozess unterstützt hat und auch weiterhin unterstützt.
Und an wen genau richtet sich das Tool?
Das Tool richtet sich als freiwilliges Selbstevaluations-Tool an Schulen, die daran interessiert sind, ihren Entwicklungsstand im Hinblick auf die schulische Digitalisierung zu erfassen und mithilfe der zur Verfügung gestellten Auswertungen eine zielgerichtete Schulentwicklung zu initiieren. Hierbei steht natürlich vor allem die Unterrichtsentwicklung im Fokus. Letztlich entscheidet das jede Schule allerdings selbst, die Teilnahme ist ja absolut freiwillig und läuft übrigens auch anonymisiert ab. Prinzipiell werden Fragebögen für die Primarstufe, die Sekundarstufen sowie die beruflichen Schulen zur Verfügung gestellt. Dabei gibt es Fragebögen für Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Eltern. Die Idee ist, dass sowohl Lehrkräfte als auch Schülerinnen, Schüler und Eltern die Fragen beantworten. Denn dann können die Schulen bei der Auswertung die unterschiedlichen Wahrnehmungen gegenüberstellen und daraus ableiten, wo Handlungsbedarf besteht.
Ein Beispiel: Wenn bei der Befragung herauskommt, dass die Lehrkräfte sich im Umgang mit digitalen Medien als fit einstufen, die Schülerinnen und Schüler aber zu einem ganz anderen Ergebnis kommen, dann sollte das zumindest Anlass zu Diskussionen sein. Es wird aber auch eine Handreichung des IBBW geben, wie die Auswertung richtig zu lesen ist und was die Schulen aus den Ergebnissen schlussfolgern können. Auf Anfrage werden die Schulen beim Auswertungsprozess und dem anschließenden Optimierungsprozess unterstützt.
Und dann?
Wir möchten die Schulen, die mit dem Tool in die Testphase gehen, nicht nur bei der Auswertung unterstützen, sondern ihnen für ihre Teilnahme auch etwas zurückgeben. Wenn sie zum Beispiel herausfinden, dass die Lehrkräfte ihre Medienkompetenz noch ausbauen können, haben sie die Möglichkeit, auf uns zuzugehen. Wir versuchen dann, sie zielgerichtet zu unterstützen und über unser Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung oder das Landesmedienzentrum weiterzubilden.
Die Selbstevaluation ist der erste Baustein des »Tools digitale Schule«. Und der zweite?
Als zweiten Baustein haben wir vor, einzelne der abgefragten Aspekte landesweit zu vergleichen. So erhoffen wir uns, über die einzelnen Schulen hinaus ein großes Bild von der Lage in Baden-Württemberg zu bekommen. Mal angenommen, wir würden feststellen, dass es in bestimmten Bereichen an Fortbildungen fehlt, könnten wir zielgenauer nachsteuern. Bei dem zweiten Baustein geht es also um die Generierung von Steuerungswissen.
Wie können Schulen, die noch nicht am Ziel sind, von anderen lernen?
Wir haben schon einige Vernetzungsformate wie die Referenzschulen Baden-Württemberg oder die Realschul-Trios, die darauf abzielen, voneinander zu lernen. Beim »Tool digitale Schule« gehen wir jetzt zunächst mal in die Erprobungsphase und schauen dann, inwieweit es dabei auch möglich ist, Schulen miteinander zu vernetzen.
Welche Ziele möchten Sie mit dem Projekt erreichen?
Einerseits wollen wir Schulen bei ihren individuellen Entwicklungsprozessen unterstützen und sie auf dem Weg der digitalen Transformation begleiten. Und andererseits brauchen wir als Ministerium mehr und genaueres Steuerungswissen, um Entwicklungs- und Nachholbedarf genauer identifizieren zu können – und dann entsprechend handeln zu können.
Quelle: Das Deutsche Schulportal, Autorin: Felicitas Wilke