Online-Unterricht in China: Guck in die Kamera!

"Wegen des Coronavirus dürfen Chinas Schüler nicht in die Schule. Also unterrichten die Lehrer über das Internet.
Dieser Tage kommt es Grace Guan, Mutter eines Drittklässlers in Schanghai, so vor, als habe sie zwei Jobs: Neben der Arbeit als Assistentin in einem Büro ist sie de facto auch noch Lehrerin. Seit sich der Sohn vor rund einem Monat vor dem Beginn des chinesischen Neujahrsfestes von seiner eigentlichen Klassenlehrerin in die Ferien verabschiedet hatte, hat er den Klassenraum nicht mehr betreten. Weil sich das Coronavirus weiter in China schnell verbreitet und nach offizieller Mitteilung mittlerweile über 75.000 Menschen angesteckt und weit über 2000 getötet hat, sind die Schulen geschlossen. Doch nun soll wenigstens wieder unterrichtet werden: online, über das Internet in der heimischen Wohnung.

In Schanghai soll die Cyberschule für alle am 2. März starten, doch die Grundschule von Grace Guans Sohn lässt die Schüler bereits seit Mittwoch den Stoff des vergangenen Halbjahres wiederholen. Die Schulleitung hatte den Eltern vorab einen Fragebogen zugeschickt, auf dem sie angeben mussten, über welche technischen Geräte der Haushalt verfügt: Computer, Laptops, Smartphones, Kabel-TV und Streaming-Plattformen.

Was sich nach ausgeklügeltem High-Tech-Unterricht anhört, verlangt in der Realität vor allem mütterliche Kontrolle: jeden Tag, so sehen es die neuen Schulvorschriften vor, muss Guan der Klassenlehrerin über den Kurnachrichtendienst »Wechat« mit dem Smartphone aufgenommene Fotos und Videos darüber schicken, wie dieser an seinen Hausaufgaben arbeitet und vorgegebene Sportübungen macht. Am Ende soll die Mutter die Tagesleistung des Sohnes mit einer Note beurteilten und seine gemessene Temperatur melden - hat er Fieber, verlangt der Staat die sofortige Einweisung ins Krankenhaus.

Der Sohn selbst kommuniziert mit seiner Lehrerin via Ding-Talk, einer Kommunikationsplattform, die der chinesische Alibaba-Konzern eigentlich für Unternehmen entwickelt hat. Seitdem Chinas Schüler die App für die Online-Schule herunterladen müssen, hat sich die Bewertung des Programms in den App-Stores radikal verschlechtert. Was sie von Unterricht im Allgemeinen - ganz gleich ob digital oder analog - halten, lassen die Schüler in ironischen Kommentaren unter dem Programm wissen, das sie mit einem einzigen Stern versehen, der schlechtmöglichsten Bewertung: »Lernen macht mich einfach glücklich«, heißt es dort. »Ding-Talk ist das Licht in der Dunkelheit, ich liebe Dich«.

Weil sie bald wieder physisch im Büro anwesend sein müsse, falle die Überwachung des Sohnes in den Aufgabenbereich der Großeltern, ängstigt sich Mutter Guan - diese hätten von all der Technologie »kaum eine Ahnung«..."

Zum Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.net.