Die kritische Masse der Digitalen Bildung
► Blogbeitrag von Dejan Mihajlovic, 02. November 2016:
Seit fast drei Jahren bereise ich bundesweit Veranstaltung zum Thema Digitale Bildung. Anfangs rein als Teilnehmer und mittlerweile zunehmend als Teilgeber oder sogar Veranstalter. Dabei habe ich viele Menschen aus unterschiedlichen Wirkungskreisen der (Digitalen) Bildung online und offline kennengelernt und mich mit ihnen ausgetauscht. In dieser Zeit gab es zwei Konstanten, denen ich diesen Gesprächen begegnete:
a.) Filterblase
Der vertiefte und kontinuierliche Austausch findet immer noch größtenteils in einer Filterblase statt. Diese mag zwar wachsen, bindet aber stets die gleiche Interessengruppe. Die meisten Menschen beschäftigen sich eben berufsbedingt mit Digitaler Bildung und stellen auch da eine Minderheit dar. Das wird auch keine Finanzspritze in neue Technik, wie sie Wanka ankündigte, lösen (Wen das Thema näher interessiert, findet hier von Tobias Hübner eine sehr gute Zusammenfassung der Geschehnisse rund um den Digitalpakt #D.). Man kann nicht leugnen, dass bestehende Veranstaltungsformate größer werden und neue hinzukommen. Nur ändert das am eigentlichen Problem, die kritische Masse zu erreichen, (zu) wenig. Es geht auch nicht um Technik, sondern eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung, die als solche aber noch nicht in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird.
b.) Durchbruch
Wenn man mit den schon lange Aktiven in diesem Bereich spricht, bekommt man regelmäßig zu hören, dass in den letzten Jahren immer wieder der Durchbruch prophezeit oder ausgerufen wurde, aber sich wenig bis gar nichts änderte. Meist waren es Papiere oder Konzepte, die (noch) auf ihre (breite) Umsetzung warten. Wobei man nicht vergessen darf, dass diese Einschätzung häufig von Menschen stammt, die Dinge bewegen wollen und denen es nicht schnell genug gehen kann. Ein nüchterner(er) Blick zeigt, dass die Bemühungen je nach Bundesland, Stadt/Gemeinde oder Schule unterschiedlich fortgeschritten sind und stark voneinander abweichen können. In NRW gibt es mit Bildung 4.0 einen politischen Motor, im Saarland werden mit der Einführung von Calliope, das von der Bundesregierung finanziert wird, an allen Grundschulen schlagartig Fakten geschaffen und in Hessen sieht die Zukunft der Digitalen Bildung zurzeit nicht rosig aus.
Mich beschäftigt deshalb seit langem die Frage, wie man denn nun die kritische Masse erreichen kann. Wobei die kritische Masse an dieser Stelle eine doppelte Bedeutung hat und auch auf zwei Zielgruppe hinausläuft:
1.) Lehrende spielen eine wesentliche Rolle bei der Umsetzung jeglicher Form von Bildung. Deshalb kommen wir nicht daran vorbei, Konzepte oder Strategien zu entwickeln, um die zu erreichen, die Neues (Technik, Methoden, Ziele) auf den ersten Blick grundsätzlich verneinen. Diese Gruppe scheint (in Bezug auf Technik) jährlich kleiner zu werden; dabei weicht reine Ablehnung einer kritischen Haltung. Bei einigen vermute ich eine Ursache in der Sorge vor Mehrarbeit, die jede Veränderung zu Beginn erst einmal mit sich bringt. Auf dem Digital Education Day 2016 in Köln tauschte ich mich bei einer Session mit Gleichgesinnten dazu aus. Dort war man sich zumindest darüber einig:
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Dass sich „jemanden überzeugen zu wollen“ kontraproduktiv auswirkt und man mehr auf lösungsorientierte und einfache Ansätze, die beiläufig im Schulalltag einfließen, bauen sollte.
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Dass es verpflichtende Elemente Top-down braucht.
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Dass der Erfolg aller Bemühungen von funktionierender Technik abhängt.
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Dass man reizvolle Veranstaltungsangebote in der näheren Umgebung braucht. (Vergessen wir nicht die große Gruppe an Interessierten, die nicht nach Berlin, Köln oder Oldenburg fahren können.)
2.) Unter der zweiten Bedeutung der kritischen Masse verstehe ich den Netzwerkeffekt, der auf die gesamte Gesellschaft zielt. Der Moment, wenn eine Sache sich verselbständigt und in der Breite durchsetzt. Das würde den Stellenwert von Digitaler Bildung komplett verändern. Ich bin auch überzeugt, dass sich jetzt schon viele Menschen darüber einig sind, dass das Was und Wie „Bildung“ stattfinden soll, sich ändern muss. Die Debatte darüber findet aber in einem exklusiven Rahmen statt. Wir müssen es schaffen, die (kritische) Masse zu erreichen, indem wir allen einen Zugang zu dieser Debatte ermöglichen, um sich daran zu beteiligen.
Dafür sehe ich zwei notwendige Dinge, die auf der jeweiligen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene für Bewegung in die richtige Richtung sorgen würden:
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Offene Veranstaltungsformate, die Weiterbildung, Austausch und Vernetzung ermöglichen
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(echter) politischen Willen, keinen Papiertiger
Meiner Erfahrung nach fühlt sich an den entscheidenden Stellen von einer überschaubaren Anzahl von Menschen bis niemand für Digitale Bildung ernsthaft verantwortlich. Im schlimmsten Fall wird einem auf unterschiedlicheren Ebenen erklärt, dass man nichts unternehmen kann, weil x (x ist eine beliebige Variable und kann für Personen, Strukturen, Gesetze, Ressourcen jeglicher Art oder Sonstiges stehen) es verhindert. Deshalb schlage ich vor, dass sich nun alle fragen, welchen Beitrag sie denn selbst dazu leisten können, um den notwenigen Prozess in Gang zu setzen bzw. zu beschleunigen. Um sich diese Frage zu beantworten, empfehle ich, einige Dinge vorher zu durchdenken:
A.) Zuerst sollte man sich einen Überblick über die Lage bezüglich der Veranstaltungsformate und dem politischen Willen auf der zugehörigen kommunalen, Landes- und Bundesebene machen. Die folgende Grafik soll dazu einen groben Überblick der Angebote und Entwicklungen auf den drei Ebenen veranschaulichen und stellt dabei nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Es soll lediglich bei der gedanklichen Orientierung unterstützen. (Auf das Web, das hier an jeder Stelle zusätzlich greift, habe ich aus Gründen der Übersichtlichkeit verzichtet. Blogs, Podcasts, Tweets, Posts und sonstige Netzarbeit sehe ich als verbindendes Element und noch nicht annähernd ausgeschöpftes Potential auf allen Ebenen.)
Ich bin der Auffassung, dass jede Region mindestens ein Format, in der Größe eines Edu Camps oder eines Digital Education Days (DED) pro Jahr anbieten sollte. Dazu bedarf es aber Einrichtungen, die das leisten können. Hier sehe ich primär die Lehrenden als Zielgruppe im Visier. (Natürlich haben sich Barcamps auch als hervorragende Räume der Vernetzung nonformaler und formaler Bildung herauskristallisiert, das zukünftig noch intensiver ausgebaut werden müsste. Auch auf den politischen Willen gehe ich hier nicht weiter ein, weil der Umfang den Rahmen sprengen würde.)
B.) „Verbündete suchen“ kann man als grundsätzliche Devise aussprechen. Kooperationspartnern mit Ressourcenstärke sind dabei von Vorteil. Das können Hochschulen, Landes-/Kreis-/Stadtmedienzentren, Landesakademien, (Jugend-)Bildungswerke, Kulturämter, Bildungsmanagements, Theater oder Museen sein.
C.) Wie erreiche ich aber die Menschen außerhalb der Filterblase bzw. den Netzwerkeffekt? Hier sehe ich die Chance in vielen, bundesweit verstreuten, lokal verankerten Veranstaltungen überschaubarer Größe, deren Charme und Reiz darin liegt, dass man nicht weit reisen muss oder/und die Ausrichter*innen kennt. Das Ziel muss es sein, die dauerhafte und gesamtgesellschaftliche Aufmerksamkeit zu erhalten und die Notwendigkeit der Antwort auf die Frage, was sollen unsere Kinder in Schulen und Hochschulen in und für ihre Zukunft lernen, zu vermitteln.
Weil ich so ein Format seit letztem Jahr in Freiburg durchführe, stelle ich euch hier eine To-do-Liste zu Verfügung, die ihr nutzen, ergänzen, korrigieren bzw. einfach passgenau auf euch zuschneiden könnt, um selbst solche Veranstaltungen anzubieten.
Thema
Bei der Themenwahl darauf achten, dass es…
nicht zu speziell ist, um ausreichend Interessierte zu generieren.
„gute“ Referent*innen dazu gibt.
Referent*in
Fachlich kompetent, aber auch ansprechend für Laien (Digitales muss raus aus der gesellschaftlichen Nerd-Ecke).
Bestenfalls sollte man Reden/Vorträge vorher schon mal von ihr/ihm gesehen haben.
Ein bezahlbares Hotelzimmer reservieren und die An- und Abreise mit der Person klären. (Dafür braucht man finanzielle Unterstützung von Kooperationspartnern. Hier gibt es sie in NRW.)
Termin
Wie viele? Hängt von eurer Lust und Zeit ab. Zwei Termine pro Jahr sind für eine Person machbar und verleihen dem Thema eine notwendige Kontinuität. Bei mir hat es sich auf je eine Veranstaltung im Frühjahr und Herbst eingependelt.
Wann? Dienstag scheint ein guter Wochentag zu sein, weil die Woche noch frisch und die Wahrscheinlichkeit höher ist, dass Leute noch die Lust und Kraft für ein Zusatzprogramm aufbringen.
Nach anderen Veranstaltungen Ausschau halten (thematisch oder Zielgruppe betreffend relevant, z.B. Elternabend), damit es nicht zu einer Konkurrenzveranstaltung wird. Die Gruppe von Menschen, die man zu solchen Veranstaltung bewegen kann ist überschaubar.
Raum
möglichst zentral, gut erreichbar und für die breite Masse einladen
möglichst günstig bzw. unterstützend bezüglich offener Angeboten
für 10-50 Leute
stabiles WLAN (für ein Live-Streaming)
Werbung
Die persönliche und direkte Ansprache ist die effektivste Werbung. Außerdem müssen wir auch bzw. gerade die Offliner*innen erreichen.
Aufwand von Plakaten oder Pressemitteilungen stand bei meinem erste Event in keiner Relation zur erreichten Zuschauergröße. Kann man also machen, muss man aber nicht. Wenn man einen Artikel über die Veranstaltung in der Presse platzieren kann, ist das aber sicher nicht verkehrt. Bei meiner zweiten Veranstaltung bekam ich von einem lokalen Online-Magazin angeboten, etwas zum Thema zu schreiben und für den Termin zu werben.
Über FB-Veranstaltungen und Werbung via Twitter erreicht man (meiner Erfahrung nach ausreichend) die netzaffinen Menschen.
Web-Community
Live-Streaming kann mit Periscope einfach angeboten werden und ermöglicht auch den Netzaktiven den Zugang zur Veranstaltung. Bei meinem letzten Event hatte ich so konstant zehn bis zwölf zusätzliche Zuschauer*innen. (Die Bundeszentrale für politische Bildung bewarb freundlicherweise mein angekündigtes Streaming, ohne sie gefragt zu haben.)
Energie
Die Planung und Durchführung ist überschaubar, kostet aber trotzdem Kraft. Besonders kräftezehrend ist das Bewerben der Veranstaltung. Ich muss zugeben, dass ich beim ersten Mal über die Anzahl der Leute, die letztendlich erschienen waren, sehr enttäuscht war. Mein Erwartungshorizont ist mittlerweile realistischer und der Spaß überwiegt.
Jetzt seid ihr dran. Auf welcher der drei Ebenen und in welchem Bereich, könnt ihr etwas dazu beitragen? Mein Call for Participation beginnt mit diesem Beitrag. Belasst es bitte nicht beim klassischen „Man sollte…“. Machen.
Zwei abschließende Ergänzungen
An dieser Stelle bedanke ich mich bei den zahlreichen Menschen aus der On- und Offline-Bildungsgemeinde, die ich bisher kennenlernen durfte und die schon lange viel leisteten und bewegen.
Immer wenn ich Digitale Bildung schreibe, meine ich nicht die Technik, sondern das noch neu auszuhandelnde und durch den digitalen Wandel mögliche und notwendige Lehren und Lernen, das Lisa Rosa hier beschreibt.
Auflistung bestehender Veranstaltungsformate
Deutschland
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Bad Wildbad, EduCamp 2017, #ecbw17
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Berlin, exciting edu, #excitingEDU
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Berlin, Bildung in einer digitalisierten Welt, #BiDiWe16/#BiDiWe17
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Bremen, itslearning regionales Nutzertreffen, #itshb15/#itshb16
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Gauting, MobilesLernen
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Gelsenkirchen, GEcamp, #GEcamp16
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Freiburg, D64 – Lernen in einer digitalisierten Welt, #LernenDigitalD64
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Hamburg, EduDrinks, #edudrinksHH
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Hannover, Tag der Medienkompetenz
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Hattingen, EduCamp, #echat16/#echat17
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Kassel, Mahara-Konferenz ePortfolio-System #mahDE16
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Köln, Digital Education Day, #DED16/#DED17
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Köln, VBMCamp, #vbmcamp16/#vbmcamp17
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Mannheim, MoodleMaharaMoot, #mootDE17
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Mainz, HistoCamp, #histocamp,
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Niedersachsen (wechselnde Orte), Schulmedientage
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Oldenburg, mobile.schule, #molol16/#molol17
Schweiz
Rorschach, Tablet Days
► Über Dejan Mihajlovic: Ich bin Lehrer an einer Realschule in Freiburg, SMV BAG-Leiter, aktives D64-Mitglied, im Vorstand des Bürgervereins Oberwiehre-Waldsee, stellvertretender Vorsitzender des Migrationen- und Migrantenbeirats der Stadt Freiburg und Vater von vier Kindern. Was soll, kann und wird Bildung heute und morgen leisten? Welche Rollen spielen dabei Partizipation und Bildungsgerechtigkeit? Diese Fragen und mehr treiben mich an, die Gegenwart und Zukunft unserer Gesellschaft (im Bildungsbereich) im Rahmen meiner Möglichkeiten mitzugestalten.