Neue Berufe dank Chat-GPT: Prompt Engineers winken Gehälter von mehr als 300 000 Dollar
KI in der Schule zu verbieten, führe in die Zweiklassengesellschaft, sagen Experten in den USA warnend. Sie fordern einen proaktiven Umgang mit der Sprach-KI – und weisen auf neu entstehende Berufsfelder hin.
Plötzlich ist Chat-GPT überall. Der auf dem Sprachmodell GPT-3.5 basierende Chatbot brauchte nur zwei Monate, bis ihn 100 Millionen Nutzer weltweit getestet hatten – keine andere Technologie hat sich jemals so schnell verbreitet.
Und das dürfte erst der Anfang des Booms sein. Microsoft hat den künstlich intelligenten Chatbot inzwischen in seine Suchmaschine und weite Teile seiner Office-Produktpalette integriert. Kunden der Softwarefirma Salesforce können sich von der Sprach-KI personalisierte Marketing-E-Mails formulieren lassen, »Einstein GPT« heisst das Programm ganz bescheiden. Die Sprachlernsoftware Duolingo hat gerade GPT-4, die jüngste Version des Sprachmodells von Open AI, integriert – die KI ist neuerdings also auch virtueller Partner fürs Sprachtandem.
Die Liste ließe sich beliebig lange fortsetzen: Softwareingenieuren beschleunigt Chat-GPT das Programmieren, Doktoranden die wissenschaftliche Recherche. Patienten mit psychischen Problemen vertrauen dem Chatbot ihre Probleme an.
Banken und Schulbezirke verbieten die Sprach-KI
Während manche Firmen in den USA die Sprach-KI gar nicht schnell genug integrieren können, lehnen andere sie kategorisch ab. Die amerikanische Grossbank JP Morgan etwa hat ihren Mitarbeitern die Nutzung des Chatbots untersagt – zu groß ist die Angst, dass Firmen- und Kundendaten nach außen gelangen. Ebenso hat der größte amerikanische Kommunikationskonzern Verizon den Chatbot von seinen Systemen verbannt.
Doch vor allem im Bildungssektor hat Chat-GPT regelrechte Panik ausgelöst: New York und Los Angeles, die beiden größten Schulbezirke des Landes mit 1,5 Millionen Schülern, haben den Chatbot in ihren Systemen und auf ihren Geräten verboten. Man will erstens verhindern, dass Schüler ihre Hausaufgaben von der KI erledigen lassen und das eigene Denken verlernen. Zudem befürchten die Schulverwalter, dass die Schüler Falsches lernen, denn die Sprach-KI ist in ihrer derzeitigen Form oft noch »confidently wrong«, behauptet also selbstbewusst Dinge, die schlichtweg falsch sind. Wie sehr die Frage die amerikanische Gesellschaft bewegt, zeigt auch die Tatsache, dass die Kult-Comic-Serie »South Park« jüngst dem Thema Chat-GPT in der Schule eine Folge widmete.
Selbst die International Conference on Machine Learning, die weltweit führende Konferenz für maschinelles Lernen, hat nun Beiträge verboten, die von Sprach-KI verfasst wurden. Zu viele Fragen seien noch offen, argumentierten die Organisatoren der Konferenz – etwa, wem das geistige Eigentum gehöre, das mithilfe der KI geschaffen werde.
»Was, wenn wir mit solchen Verboten eine neue gefährliche digitale Spaltung der Gesellschaft schaffen?«
Ein Verbot von Chat-GPT im Bildungssektor sei jedoch genau der falsche Umgang mit der neuen Technologie, argumentierten Wissenschafter und KI-Experten an der Konferenz South by Southwest, einer der wichtigsten Veranstaltungen der Tech-Branche. Sie alle warnen vor einer Zweiklassengesellschaft.
Es sei wichtig, den Leuten beizubringen, wo die Grenzen der neuen Technologie lägen, glaubt etwa Pulkit Agrawal, Experte für künstliche Intelligenz und Robotik am Massachusetts Institute of Technology. »Deswegen muss man die Menschen im Umgang mit der Technologie besser ausbilden«, sagte er in einer Diskussion zum Thema »Wie KI das menschliche Bewusstsein verändern wird«. Anzunehmen, dass Chatbots und Roboter keine Fehler begingen, sei schlichtweg unfair.
Ähnlich sieht das Amy Webb, eine der bekanntesten Futuristinnen der USA, die Politiker, Firmen und Hollywoodstudios zu Zukunftstrends berät. »Wir befinden uns in der neuen Ära der Computerassistenten«, glaubt die 48-Jährige. Natürlich seien diese nach wie vor fehleranfällig – aber das Problem lasse sich nicht lösen, indem man die Technologie verbiete, glaubt Webb. »Was, wenn wir mit solchen Verboten eine neue gefährliche digitale Spaltung der Gesellschaft schaffen?« In der Schule sollten stattdessen gezielt die Kenntnisse unterrichtet werden, die es brauche, um mit Chatbots den grösstmöglichen Nutzen erzielen zu können.
Es sei wichtig, dass die nächste Generation lerne, mit diesen Werkzeugen umzugehen, glaubt Webb. Was genau sie damit meint, demonstrierte Webb kurzerhand an der Konferenz: Sie wolle ein Startup gründen, das auf die Kommunikation mit Sprach-KI spezialisiert sei – und genau das werde sie nun mithilfe von Chat-GPT tun. Zunächst bittet Webb den Chatbot um eine Marktanalyse (Befehl: »Vollführe eine Pestel-Analyse für ein B2B-Geschäft mit Fokus auf den US-Markt im Tabellenformat«) – 1,3 Sekunden später hat sie das Ergebnis. Es folgen Namensvorschläge, inklusive Adressen für Websites, und ein Pitch an mögliche Investoren. Nach wenigen Klicks präsentiert Webb dem Publikum ihre neue Firma Prompt Me.
»Ihnen diese Schritte zu erklären, hat mich mehr Zeit gekostet, als mit Chat-GPT den gesamten Geschäftsplan zu schreiben – 10,7 Sekunden insgesamt.« Natürlich sei der Prozess damit nicht abgeschlossen – die Schreiben an die Investoren müssten noch verbessert, die Marktanalysen kritisch hinterfragt werden. Doch die Software habe ihr rund 50 Prozent der Arbeit abgenommen und ihre Produktivität enorm gesteigert, sagt Webb. Und künftig, so ist Webb überzeugt, werde es von Arbeitnehmern erwartet, dass sie wüssten, wie man generative KI konkret verwende. Wenn man aber schon heute lerne, mit diesen neuen Werkzeugen umzugehen, sei das so, »als wenn man reich geboren wird – man hat einen Vorsprung gegenüber allen anderen«.
Kevin Kelly, amerikanischer Technologieexperte und Gründer des Fachmagazins »Wired«, befürchtet ebenfalls eine Wissenslücke in der Gesellschaft, wenn man Sprach-KI nun verbiete. »Dann verliert man die Kontrolle darüber, in welche Richtung sich die Technologie weiterentwickelt.« Nur wenn man sie aktiv verwende, könne man auch beeinflussen, in welche Richtung sie sich entwickle.
Ähnlich wie Webb weist Kelly darauf hin, dass es schon heute das neue Berufsfeld des Prompt Engineer gebe – eine Art KI-Flüsterer, der weiß, mit welchen Befehlen und Anweisungen man die bestmöglichen Ergebnisse aus Chat-GPT und anderen Chatbots kitzeln kann. Kelly verweist auf entsprechende Stellenausschreibungen auf der Jobplattform Linkedin.
Tatsächlich werden dort derartige KI-Experten händeringend gesucht. Auch sonst finden sich zahlreiche Stellengesuche im Internet für das neue Berufsbild. Ein KI-Startup aus San Francisco bietet Bewerbern gar bis zu 375 000 Dollar. Wie eine Prompt-Ingenieurin jüngst gegenüber dem Magazin «Time» erklärte, bestehe ihre Aufgabe darin, Textbefehle in das Backend-System von KI-Algorithmen einzugeben, damit diese beispielsweise bessere Marketing-E-Mails generieren könnten. Für den neuen Beruf braucht man trotz dem Namen auch nicht unbedingt ein Ingenieurstudium – die Dame etwa hat einen Hintergrund in englischer Literatur.
Ebenso bieten pfiffige Unternehmen inzwischen Weiterbildungskurse an, in denen sie »das Geheimrezept« unterrichten, wie man »mithilfe von KI-Suchanfragen Gold generiert und keinen Müll«.
»KI wird ein Werkzeug sein wie heute das Smartphone in der Tasche«
Auch Greg Brockman, Mitgründer und Präsident von Open AI, sagte in seinem Vortrag, dass er Wissenslücken in der Gesellschaft für problematisch halte – aus diesem Grund habe Open AI Chat-GPT überhaupt so schnell veröffentlicht. »Wir wollen die Menschen darüber informieren, wie die Zukunft aussieht – unsere Gesellschaft muss Zeit haben, sich darauf einzustellen. KI wird ein Werkzeug sein wie heute das Smartphone in jedermanns Tasche. Die Technologie wird jeden Aspekt des Lebens verändern.«
Was Brockman jedoch verschweigt, ist, dass es schon heute eine Zweiklassengesellschaft gibt – auch bei Open AI: Die vierte und jüngste Version der Sprach-KI, GPT-4, ist nämlich nicht mehr frei zugänglich wie der Vorgänger GPT-3.5. Wer sie nutzen will, muss nun 20 Dollar im Monat für Chat-GPT Plus zahlen.
Quelle: Neue Züricher Zeitung, Autorin: Marie-Astrid Langer
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